Wegweisendes Urteil drei Jahre nach dem Smood-Streik
Für Food-Kuriere gilt der Gastro-Vertrag

Mit allerlei Tricks wollen Essenslieferdienste wie Smood oder Uber Eats die Löhne drücken. Jetzt sagt das Genfer Arbeitsgericht: Das geht nicht. Sie müssen den Gesamtarbeitsvertrag des Gastgewerbes einhalten.

SPEKTAKULÄRER ARBEITSKAMPF: Unia-Chefin Vania Alleva (im roten Mantel) mit den streikenden «Smoodeurs» im Dezember 2021 in Genf. (Foto: Lucas Dubuis)

Eigentlich ist es ganz einfach: Im Gastgewerbe gilt ein Gesamtarbeitsvertrag. Daran müssen sich, so hat es der Bundesrat bestimmt, alle Betriebe halten. Und dazu gehören auch «Betriebe, die fertig zubereitete Speisen ausliefern». Nachzulesen in Absatz 1 des Vertrags.

Doch es gibt Firmen, die sich dem verweigern. Etwa der Dumping-Essenslieferdienst Uber Eats oder die Schweizer Firma Smood, die ebenfalls Food-Bestellungen nach Hause bringt. Smood sorgte Ende 2021 für den grössten Arbeitskampf, den die Schweiz seit längerer Zeit gesehen hatte: Fünf Wochen lang streikten die Fahrerinnen und Fahrer.

Ein historischer Streik und ein Hinterrücks-GAV:

Die Smood-Saga

November 2019
In Genf kooperiert die Migros mit Smood. Die Unia kritisiert die prekären Arbeitsbedingungen beim Lieferdienst und fordert die Migros auf, die Kurierinnen und Kuriere direkt anzustellen.

April bis Juni 2021
Allo Service, ein Subunternehmen von Smood, meldet Konkurs an und entlässt die Kurierinnen und Kuriere. In Verhandlungen mit Smood erreicht die Unia, dass etwa 120 von ihnen wieder eingestellt werden, diesmal direkt von Smood.

Sommer 2021
Immer mehr Mitglieder beschweren sich bei der Unia über falsche und undurchsichtige Abrechnungen sowie zu tiefe Spesenentschädigungen.

2. November 2021
In Yverdon VD treten die Kurierinnen und Kuriere von Smood in den Streik. Sie fordern bessere Löhne, faire Spesen und ein Ende der Gratisarbeit. Rasch breitet sich der Streik auf elf Städte in der Westschweiz aus.

17. November 2021
Die Gewerkschaften Unia und Syndicom vereinbaren, im Smood-Arbeitskampf zusammenzuarbeiten.

23. November 2021
Grossaktion der Streikenden in Genf. Unia-Chefin Vania Alleva ist beeindruckt: «Eine solche Bewegung habe ich noch fast nie gesehen!»

8. Dezember 2021
Der Kanton Genf verfügt eine Schlichtung und stoppt damit den Streik. Es ist der bis heute längste Streik in der Plattformwirtschaft.

25. Januar 2022
Die Schlichtung scheitert. Die Schlichtungsstelle veröffentlicht 10 Empfehlungen. Sie nimmt dabei zentrale Forderungen der Streikenden auf. Smood zeigt sich stur. Die Unia fordert die Firma auf, endlich den GAV des Gastgewerbes einzuhalten.

28. März 2022
Die Unia zeichnet die Streikenden mit dem «Prix Engagement» aus. Im work sagt die Fahrerin Wassila Toumi über CEO Aeschlimann: «Er fordert alles von uns. Ich sage ihm: Nimm es. Aber du wirst nicht siegen.»

Smood-Fahrer Maher Bouaziz. (Foto: Sébastien Agnetti)

11. Mai 2022
Unterstützt von der Unia, verklagen vier Smood-Fahrer ihren Arbeitgeber. Sie werfen der Firma vor, sie um hohe Beträge geprellt zu haben. Einer von ihnen ist Maher Bouazizi. Laut Klageschrift schuldet ihm Smood Löhne und Spesen in der Höhe von 61000 Franken. Die Fälle sind derzeit suspendiert, bis rechtskräftig entschieden ist, ob für Smood der GAV Gastgewerbe gilt.

19. Mai 2022
Überraschend präsentieren Smood und Syndicom einen GAV, ausgehandelt in aller Heimlichkeit. In zentralen Punkten geht der Vertrag hinter die Empfehlungen der Schlichtungsstelle zurück. Trotzdem «begrüsst» die Migros Genf, mit 46 Prozent an Smood beteiligt, den Vertrag. Véronique Polito, Mitglied der Unia-Geschäftsleitung, kritisiert das Vorgehen von Syndicom als «Vertrauensbruch».

August 2022
Das Smood-Subunternehmen Simple Pay stellt den Betrieb ein und entlässt rund 220 Fahrerinnen und Fahrer. Smood stellt laut eigenen Angaben 150 von ihnen direkt an und will nicht mehr mit Subunternehmern zusammenarbeiten.

Mai 2024
Eine Reportage der Zeitung «La Côte» zeigt: Ein Smood-Kurier kommt im besten Fall auf einen Monatslohn von netto 2500 Franken. Dazu Millionär Aeschlimann: «Ich gebe zu, das ist kein Anwaltssalär. Aber mir scheint, es reicht zum Leben.»

Den Millionär lässt’s kalt

Smood-CEO Marc Aeschlimann (Foto: Lunid13)

Chef und Mehrheitsbesitzer von Smood ist der Multimillionär Marc Aeschlimann. Gegenüber der Zeitung «La Côte» wollte er «überhaupt keinen Grund» sehen, weshalb seine Firma den Gastro-GAV einhalten sollte: «Wir sind Logistiker.» Dass die Unterstellung unter den GAV nicht davon abhängt, was der Chef findet, sondern davon, was die Firma tut – das lässt ihn offenbar kalt.

Und zwar schon seit Jahren. Schon kurz nach dem Streik sagte deshalb Mauro Moretto, Unia-Branchenleiter Gastgewerbe:

Wenn Smood sich weiter auf stur stellt, muss notfalls ein Gericht dafür sorgen, dass sich die Firma an die Regeln hält.

Genau das passiert jetzt endlich. In Genf, wo sich der Smood-Hauptsitz befindet, hält das Arbeitsgericht fest: Smood ist aufgrund seiner Tätigkeit dem GAV des Gastgewerbes unterstellt.

Schluss mit Tricks

Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, Smood zieht es ans kantonale Obergericht weiter. Trotzdem ist es ein gutes Zeichen für die ganze Gastrobranche. Denn zusammen mit den Gewerkschaften hatten auch die Arbeitgeber gefordert, dass Smood den GAV einhalte. Die Klage in Genf eingereicht hatte die Aufsichtskommission des Gastro-GAV, in der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite paritätisch zusammenarbeiten.

Das Urteil sei nicht nur für Smood wichtig, sagt Véronique Polito von der Unia-Geschäftsleitung. Denn der Gastro-GAV bringt Food-Kurieren und -Kurierinnen einen entscheidenden Vorteil:

Er stellt klar, dass Präsenzzeit als Arbeitszeit gilt.

Er stellt klar, dass Präsenzzeit als Arbeitszeit gilt. Smood hatte dagegen bis 2022 einen Grossteil der Fahrerinnen und Fahrer im Minutentakt nur dann bezahlt, wenn sie eine Lieferung machten. Nicht aber bei der Rückfahrt und während Wartezeiten. Auch Uber Eats ist dafür bekannt, Wartezeiten nicht zu bezahlen. «Mit diesem Urteil», so Polito, «sind solche Tricks nicht mehr möglich.»

Sofern es bestätigt wird, macht das Urteil noch einen weiteren Trick von Smood obsolet: den Hinterrücks-Vertrag, den die Firma mit der Gewerkschaft Syndicom abgeschlossen hat. Im Mai 2022 zauberten die beiden den Firmen-GAV aus dem Hut, verfasst hinter dem Rücken der Unia und ohne Wissen der allermeisten Fahrerinnen und Fahrer. Obwohl rund 160 von ihnen die Unia beauftragt hatten, sie zu vertreten. Ein GAV, der nicht einmal gut ist.

Smood-GAV sieht alt aus

Diesen GAV kann Smood zwar weiterhin anwenden. Muss seine Arbeitsbedingungen aber mindestens auf das Niveau des Gastro-GAV anheben, wenn diese besser sind. Und das ist in fast allen wichtigen Punkten der Fall:

  • 5 Wochen Ferien statt 4
  • 13. Monatslohn
  • voller Lohn während Wartezeit
  • Erstattung der tatsächlichen Autospesen statt einer undurchsichtigen Pauschale

Wegen der höheren Zuschläge für Ferien und des Dreizehnten schneidet der Gastro-GAV auch beim Mindestlohn pro Stunde besser ab als der Smood-GAV. Ungelernte im Gastgewerbe haben aktuell Anrecht auf mindestens 24 Franken 91 pro Stunde. Der Betrag wird jeweils der Teuerung angepasst, in manchen Jahren gibt’s auch bescheidene reale Erhöhungen. Nicht so beim Smood-GAV: Dessen Mindestlohn ist immer noch derselbe wie vor drei Jahren, nämlich 23 Franken.

Schon das zweite Urteil

Bereits im Februar hatte das Bundesgericht im Fall des Essenslieferdiensts Uber Eats ein Urteil gefällt, das ebenfalls den GAV des Gastgewerbes stärkt. Es stufte das Konstrukt mit der Partnerfirma Chaskis als Personalverleih ein. Das heisst, dass für die Chaskis-Fahrerinnen und -Fahrer der GAV Personalverleih gilt, kombiniert mit den Mindestlöhnen des Gastro-GAV. Pikant: Auch Chaskis hat sich einem GAV angeschlossen, der einen schlechteren Mindestlohn kennt als der Gastro-GAV. Es ist der Vertrag für Velokuriere. Ausgehandelt hat ihn die Gewerkschaft Syndicom.

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