Tödliche Faser
Ex-Eternit-Chef Schmidheiny für das Asbest-Massaker schuldig gesprochen

Das Turiner Berufungsgericht erklärt den Schweizer Ex-Chef der Eternit AG, Stephan Schmidheiny, der vorsätzlichen Tötung von einigen der 392 Asbestopfer von Casale Monferrato (IT) für schuldig. Dennoch reduzierte das Gericht das Strafmass.

SCHULDIG GESPROCHEN: Der frühere Eternit-Chef Stephan Schmidheiny. (Foto: Keystone)

Der Schweizer Eternit-Tycoon Stephan Schmidheiny ist verantwortlich für den Tod von Eternit-Arbeitern und Bürgern von Casale Monferrato in Italien. Das hat das Turiner Berufungsgericht vor kurzem festgestellt und Schmidheiny zu neun Jahren und sechs Monaten Haft wegen Totschlags beziehungsweise schwerer schuldhafter Körperverletzung bei einem Teil der 392 Opfer verurteilt, die im Mittelpunkt dieses Prozesses stehen. Dabei geht es um die Mesotheliom-Todesfälle, den tödlichen Asbestkrebs, verursacht durch Staub aus dem Werk Casale, das Schmidheiny als oberster Manager des Schweizer Zement-Asbest-Multis Eternit AG (heute Holcim) zwischen 1976 und 1986 leitete.

Asbestfonds

Seit 2017 bietet der von den Gewerkschaften initiierte Entschädigungsfonds für Asbestopfer unbürokratisch Hilfe für Betroffene und Angehörige. Mehr Infos unter diesem Link.

Stephan Schmidheiny stieg in den 1970er Jahren in das Unternehmen seines Vaters ein. Die Eternit-Gruppe war in mehr als zwanzig Ländern aktiv – allein in Italien an vier Standorten. Zu Spitzenzeiten arbeiteten dort bis zu 2000 Menschen in der Asbestverarbeitung und stellten Rohre oder Dachplatten her. Die italienische Justiz wirft Eternit Italia in verschiedenen Gerichtsfällen vor, zwischen 1966 und 1986 für den Tod oder die Erkrankung von mehr als 3000 Arbeitern und Anwohnerinnen verantwortlich zu sein.

Fälle verjährt

Das neuste Urteil des Turiner Gerichts bestätigt im wesentlichen das Urteil der erstinstanzlichen Richter des Appellationsgerichts Novara: Dieses hatte Schmidheiny im Juni 2023 zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt, ebenfalls wegen schweren mehrfachen Totschlags. Doch das Turiner Gericht hat das Novara-Urteil teilweise umgestaltet:

Für eine bestimmte Anzahl von Fällen wurde Schmidheiny «freigesprochen, weil der Tatbestand nicht gegeben ist» (wahrscheinlich weil die Diagnose Mesotheliom als nicht sicher angesehen wurde), während es für eine andere Gruppe von Opfern beschloss, «nicht weiter zu verfahren», weil die Straftat verjährt sei.

Daher wurde das Strafmass von 12 Jahren auf 9 Jahre und 6 Monate herabgesetzt.

Es geht weiter

Die Vertreter der Opfer und ihrer Familien reagieren mit verhaltenem Optimismus auf das Urteil: «Es gibt eine Bestätigung der Schuld, und deshalb verstehen wir dieses Urteil als eine Bestätigung der Gerechtigkeit. Wir hoffen, dass es ein Beitrag zur Bestätigung der Gerechtigkeit sein wird, denn eine Katastrophe dieser Art, bei der es nicht zu einer umfassenden Verurteilung kommt, wäre ein Versagen der Justiz», kommentiert Bruno Pesce von der Vereinigung der Asbestfamilien und -opfer von Casale Monferrato (AFEVA).

FORDERN GERECHTIGKEIT: Protestierende vor dem Berufungsgericht in Turin. (Foto: Keystone)

Auf der anderen Seite spricht Rechtsanwalt Astolfo Di Amato von der Seite der Verteidigung: «Wir sind teilweise zufrieden mit dem Teil, in dem unsere Berufung angenommen wurde. Für den Rest werden wir beim Kassationsgerichtshof Berufung einlegen.»

Der Kassationshof hat bisher alle Urteile aufgehoben, die in den letzten fünfzehn Jahren von Berufungsgerichten gegen Schmidheiny ausgesprochen wurden: Im Jahr 2014 hatte es die 18jährige Strafe wegen Umweltkatastrophe im ersten historischen Prozess aufgehoben. Und kürzlich hat es für das Werk Bagnoli, in dem der Schweizer Milliardär in erster und zweiter Instanz zu dreieinhalb Jahren wegen eines Mesotheliom-Todesfalls verurteilt worden war, die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens angeordnet.

Dasselbe geschah im Verfahren um das Werk Cavagnolo: In diesem Fall hob das oberste Gericht zweimal das Berufungsurteil auf (in dem Schmidheiny wegen Totschlags bei einem ehemaligen Arbeiter, der an Asbestose gestorben war, zu einem Jahr und acht Monaten verurteilt wurde) und ordnete eine Wiederaufnahme des Verfahrens an. Mit dem Ergebnis, dass der Fall heute verjährt ist.

*Claudio Carrer ist Chefredaktor der italienischsprachigen Unia-Zeitung «Area» und berichtet direkt aus Turin über den Prozess.

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