Ein Unfalltoter und ein öffentlicher Millionenauftrag unter der Hand bringen einen Berner Landwirt in die Kritik – und die Kehrseite bäuerlicher Privilegien ans Licht.

MIT TRAKTOREN DICK IM BAUGESCHÄFT: Landwirt und Unternehmer Peter Wyss macht Baufirmen Konkurrenz, da er sicht nicht an den LMV halten muss. Foto: Wyss Lohnunternehmung

Jahr für Jahr ereignen sich in der Schweiz rund 75 tödliche Berufsunfälle. Ein besonderes Risiko tragen Arbeitende in Bau-, Forst- und Agrarwirtschaft. Wobei die grösste Gefahr in der Landwirtschaft lauert. Aus den Suva-Statistiken geht das zwar nur indirekt hervor. Denn Bauernbetriebe sind privatversichert. Und die Privatversicherungen müssen ihre Unfallzahlen nirgends zentral zusammenfassen. Trotzdem sind die fatalen Dimensionen bekannt – dank der Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL). Sie nämlich analysiert alle Polizei- und Medienberichte über Personenunfälle im Zusammenhang mit der Landwirtschaft. Das traurige Fazit fürs 2024: 25 Todesfälle, davon 20 Arbeitsunfälle im engeren Sinne. Die Zahlen gleichen sich seit Jahren. Bedeutet: Etwa jeder vierte tödliche Berufsunfall geht auf das Konto der Landwirtschaft. Und dies, obwohl dort nur noch rund zwei Prozent der Erwerbstätigen arbeiten. Warum also diese extreme Sterberate?

Gefahren lauern überall

Klar ist: Bäuerinnen, Knechte oder sogenannte Erntehelfer leben gefährlicher als etwa Versicherungsmakler. Im Stall können Tiere durchbrennen, in Gullys giftige Gase entstehen, bei Waldarbeiten droht Astschlag, im Steilgelände überschlagen sich Fahrzeuge…

Doch die Landwirtschaft ist auch jene Branche, der die Politik am meisten Ausnahmen vom Arbeitsgesetz gewährt. Das führt unter anderem zu rekordlangen Arbeitswochen (siehe Box unten) – und damit zu Rahmenbedingungen, die Unfälle begünstigen.

Am 18. März war es wieder so weit. In Ittigen bei Bern wurde ein Mann bei Reparaturarbeiten zwischen einer Sattelzugmaschine und einem Schweisstisch eingeklemmt. Im Spital erlag er seinen schweren Verletzungen, wie die Kantonspolizei mitteilte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Jetzt zeigen work-Recherchen: Der Unfall passierte auf dem Hof von Peter Wyss (61). Und das Opfer war ein 19jähriger Mechaniker aus Tschechien. Das lässt aufhorchen. Denn Wyss hat nicht nur einen Bauernbetrieb, sondern ist längst auch ein erfolgreicher und divers aufgestellter Unternehmer.

Bauer drängen auf Bau

Wyss betreibt auf seinem Hof eine Biogasanlage zur Strom- und Düngererzeugung sowie eine der grössten Solaranlagen der Region. Auch im Futtermittelhandel ist er tätig. Doch am bekanntesten ist Wyss als Lohnunternehmer und Chef eines rund 20köpfigen Teams. Lohnunternehmer wie er verfügen über modernste Maschinenparks und führen damit für andere Bauern Feldarbeiten durch. Der Grosssteil der Schweizer Mais-, Rüben- und Getreidefelder etwa wird von externen Agrardienstleistern abgeerntet. Doch:

Die landesweit rund 400 Lohunternehmungen stossen zunehmend auch in Branchen vor, die dem Arbeitsgesetz unterstehen – oder sogar einem Gesamtarbeitsvertrag. Beliebt sind das Transportwesen, Gemeindearbeiten sowie der Tiefbau.

Keine Freude an dieser Expansion haben das angestammte Gewerbe und die Gewerkschaften. Der Vorwurf: Dumpingkonkurrenz, ermöglicht durch bäuerliche Privilegien. Eigentlich gilt: Sobald Landwirte gewerblich tätig werden, entfallen die meisten ihrer Vorrechte. Zumindest laut Gesetz. In der Realität können aber noch ganz andere Privilegien dazukommen, wie ein bisher unveröffentlichter Fall um Peter Wyss zeigt.

Millionenauftrag unter der Hand

Keine zwei Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine präsentierte der Kanton Bern ein ambitioniertes Bauprojekt: Auf dem Viererfeld, einer Wiese am Rand der Bundesstadt, sollte im Nu ein Containerdorf für 1000 Kriegsflüchtlinge entstehen. Der Kanton machte vorwärts – unbernisch schnell: Von Beschluss bis Baubeginn verstrichen nur 48 Stunden. Ein Rekordtempo, das dank Sonderrecht möglich war. Konkret vergab das zuständige Departement unter SVP-Mann Pierre Alain Schnegg sämtliche Aufträge im freihändigen Verfahren – also ohne öffentliche Ausschreibung und am Parlament vorbei.

LUKRATIVER AUFTRAG FÜR BAUER WYSS: Die Viererfeld-Baustelle in Bern im Jahr 2022. (Foto: Keystone)

Dabei flossen mindestens 3 Millionen der ausgewiesenen 8,3 Millionen Franken Gesamtkosten an Firmen von Bauer Wyss. Das geht aus der Beschaffungsplattform Simap hervor. Demnach erledigte Wyss’ Bodenbearbeitungsfirma Eco Terra AG das Abhumusieren des Viererfelds und seine Tiefbaubude WWS Bagger GmbH die Belagsarbeiten. Zudem sind auf Pressefotos Traktoren von Wyss’ Lohnunternehmen auf der Kantonsbaustelle zu sehen. Und ein Augenzeuge bestätigt gegenüber work: «Seine Traktoren fuhren frühmorgens auf – dann wurde durchgeackert bis spätabends.» Beim Berner Baumeisterverband traute man jedenfalls seinen Augen nicht.

Baumeister kritisieren Kanton

Denn dem Landesmantelvertrag fürs Bauhauptgewerbe (LMV) untersteht nur Wyss’ Kleinfirma WWS Bagger, nicht aber seine Eco Terra und die Lohnunternehmung. Unterlief damit ausgerechnet der Staat einen allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsvertrag – und dies noch dazu mit einem Millionenauftrag unter der Hand? Im Kantonsrat wurde Kritik laut. Doch zur mutmasslichen GAV-Umgehung schwieg die Regierung. Dafür argumentierte sie mit der «ausserordentlichen Lage» und behauptete, klassische Tiefbaufirmen hätten zu jener Zeit kaum Kapazitäten gehabt. Das lässt Peter Sommer nicht gelten. Der Geschäftsführer des Berner Baumeisterverbands sagt:

Ich hätte sicher 4 bis 5 verfügbare Baufirmen gewusst, doch es wurde ausser Wyss ja niemand gefragt!

Das Ganze sei «sehr unschön» abgelaufen. «Da haben wohl Beziehungen gespielt», vermutet Sommer. Und noch etwas liege auf der Hand:

Wyss kann sicher billiger arbeiten als unsere Baufirmen, die den LMV mit seinen Mindestlöhnen und Arbeitszeitbeschränkungen einhalten müssen.

Bauer Wyss wollte sich auf Anfrage nicht äussern – weder zum Unfall noch zum Viererfeld. Letzteres sei eine «alte Geschichte». Bloss: Auf Instagram postet sein Lohnunternehmen selbst Fotos von Traktor-arbeiten auf Berner Grossbaustellen. Einmalig scheint die Viererfeld-Geschichte also nicht. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Darum fürchten Gewerbler die Bauernkonkurrenz

Seit 1877 hat die Schweiz ein Arbeitsgesetz. Heute umfasst es stolze 78 Artikel. Sie alle haben nur ein Ziel: die Arbeitssicherheit zu wahren und Arbeitnehmende vor gesundheitlichen Gefahren zu schützen. Doch just die risikoreiche Landwirtschaft ist von diesem Gesetz ausgenommen. Bloss das Mindestalter für Berufstätige (15 Jahre) gilt auch für sie. Deshalb dürfen sogenannte Betriebe der Urproduktion etwa zu jeder Tages- und Nachtzeit arbeiten lassen, auch an Sonn- und ­Feiertagen – und das völlig bewilligungs- und zuschlagsfrei. Dabei sind schon die normalen Arbeitswochen rekordlang:

Bis zu 57 Stunden an sechs Tagen sind erlaubt. Ausnahmsweise dürfen sogar 84-Stunden-Wochen angeordnet werden – je nach kantonalem Normalarbeitsvertrag (NAV).

Und sogar Lernende müssen bis zu 55 Stunden «ad Säck» – satte 10 Stunden pro Woche mehr als ihre Gspänli in Verkauf, Büros oder Industrie.

Keine Mindestlöhne

Und für die strengen Tage gibt’s noch mager Geld! Denn statt verbindlicher Mindestlöhne akzeptieren die Bauern bloss «Richtlöhne». Für Betriebsangestellte empfiehlt der Bauernverband einen Monatslohn ab 3550 Franken, für Saisoniers 3450 Franken und für Praktikanten 1500 Franken.

Hinzu kommt eine lange Reihe gesetzlicher Privilegien. Viele davon sind potentiell geeignet, das angrenzende Gewerbe mit Billigpreisen zu konkurrenzieren. So sind Landwirtschaftsfahrzeuge vom Sonntags- und Nachtfahrverbot ausgenommen. Ebenso müssen die Bauern auf Traktoren und Co. keine Schwerverkehrsabgabe (LSVA) entrichten. Zudem gilt bei der Motorfahrzeugsteuer ein reduzierter Satz, und die Landwirte können sich die Mineralölsteuer rückvergüten lassen. Die Privilegienliste liesse sich fortführen – und zwar lange.

 

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