Die Baumeister wollen die Frühpensionierung auf dem Bau kippen. Mit Fake News. Und Hintergedanken.
«Mit 50 schon alt»: Die Arbeit auf dem Bau macht Peter L., Markus N. und Christoph A. (von links nach rechts) körperlich zu schaffen. (Foto: Stöh Grünig)
Seit Monaten torpedieren die Baumeister Verhandlungen über eine Nachfinanzierung der Rente 60 auf dem Bau. Jetzt schiessen sie scharf. O-Ton von Baumeisterpräsident Gian-Luca Lardi: «Das System der Frührente ist marode und ineffizient.» Der flexible Altersrücktritt (FAR) sei ein «Risiko» und müsse dringend «leistungsseitig» saniert werden. Das sind Fake News, denn die FAR-Kasse ist keineswegs marode. 2017 kam sogar mehr Geld herein, als ausbezahlt wurde. Das System ist solide, braucht aber eine finanzielle Überbrückung. Dies wegen der geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre, die jetzt ins Rentenalter kommen, den sogenannten Babyboomern.
«Das sieht nach einem Angriff der Arbeitgeber auf alle Vorruhestandsregelungen aus.»
Was Baumeisterchef Lardi nicht sagt: Er will das Rentenalter auf 62 Jahre heraufsetzen oder die Renten um 30 Prozent kürzen. Nach seiner Vorstellung sollen die Bauarbeiter selber für das Problem aufkommen. Nur ja nicht die Baumeister. Doch Unia-Bauchef Nico Lutz kontert: «Kommt für die Bauarbeiter nicht in Frage!» Das bestätigt auch ein Besuch von work auf der Baustelle (siehe Artikel links). Und das sind die Gründe:
- Die FAR-Rente beträgt rund 70 Prozent des letzten Lohns. Das sind im Schnitt 4400 Franken pro Monat. Damit kann ein Bauarbeiter gerade leben, bis er 65 wird und die ordentliche AHV hinzukommt. Würde die Überbrückungsrente um 30 Prozent gekürzt, wie das Gian-Luca Lardi will, so blieben noch 3080 Franken pro Monat übrig. Kein Bauarbeiter könnte sich eine Frühpensionierung mehr leisten.
- Viele Bauarbeiter werden ab 55 aus dem Beruf gedrängt, weil sie nach Jahren harter Arbeit gesundheitlich angeschlagen sind. Auch werden viele entlassen oder in
die Temporärarbeit abgeschoben. Eine Erhöhung des Rentenalters auf 62 würde nur noch mehr Bauleute in die Altersarbeitslosigkeit oder in die Invalidität abdrängen.
- Es geht nicht, dass nur die Jahrgänge, die in den nächsten Jahren in Rente gehen, die Sanierungskosten des flexiblen Altersrücktritts tragen müssen. Sie können nichts für ihr Geburtsjahr.
Für Unia-Mann Lutz braucht es deshalb eine Kombination von Beitragserhöhung und vertretbaren Anpassungen bei den Leistungen. Die ganze Branche müsse sich solidarisch beteiligen. Die Gewerkschaften Unia und Syna schlagen eine moderate Erhöhung der Beiträge um 0,75 Prozent vor. Nach 2024, wenn die Zahl der in Rente gehenden Bauleute wieder abnimmt, könnten die Sanierungsmassnahmen zurückgefahren werden.
Auffangeinrichtung BVG: Kurz erklärt
Arbeitnehmende, die arbeitslos werden oder sonst ihre Pensionskasse verlassen müssen, landen bei der Auffangeinrichtung BVG des Bundes. Dort sind sie weiterversichert. Die Einrichtung ist ein Werk der Sozialpartner. Sie ist paritätisch (Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter) zusammengesetzt und übernimmt seit 1983 Aufgaben des Bundes. Seit Jahren steigt die Zahl ihrer Versicherten rasant. Heute verwaltet die Auffangeinrichtung 13 Milliarden Franken Pensionskassenkapital.
DAS GUTACHTEN
Statt zu verhandeln, giessen die Arbeitgeber aber noch Öl ins Feuer. Jetzt hat die Auffangeinrichtung Berufliche Vorsorge den Vertrag mit der FAR-Stiftung gekündigt. Die Auffangeinrichtung nimmt Arbeitnehmende auf, die arbeitslos werden oder sonst ihre Pensionskasse verlassen müssen (siehe Box). Sie sagt jetzt, sie wolle ab 2019 keine älteren Bauarbeiter mehr aufnehmen.
Doch Experten halten diese Kündigung für widerrechtlich. So der Rechtswissenschafter Ueli Kieser, der an den Universitäten Bern, Zürich und St. Gallen lehrt. Kieser hat ein Gutachten verfasst und vertritt darin die Ansicht, dass die Auffangeinrichtung zur Aufnahme der Frührentner aus dem Bau verpflichtet sei. Das sei ihr gesetzlicher Auftrag (siehe Interview «Sie muss die Bauleute versichern»).
Die Unia will nun gegen die Auffangeinrichtung rechtlich vorgehen. Und kritisiert: «Es ist beschämend, wenn sie dieses Systemproblem der Pensionskassen auf dem Buckel der älteren Arbeitnehmer austrägt.»
POLITISCHE HINTERGRÜNDE
Dieses Problem sieht so aus: Die Auffangeinrichtung muss für eine steigende Zahl von Personen, die erst kurz vor der Pensionierung zu ihr stossen, die Renten zum vorgeschriebenen Umwandlungssatz von 6,8 Prozent finanzieren. Aber dazu fehlt ihr eine genügend grosse Menge von Versicherten, die über eine längere Zeit Beiträge zahlen. Mit der Altersvorsorge 2020 wäre dieses Problem gelöst. Die Reform sah vor, dass ältere Arbeitnehmende in ihrer bisherigen Pensionskasse bleiben können. Doch sie erlitt im September 2017 Schiffbruch an der Urne. So bleibt der Auffangeinrichtung das Finanzproblem erhalten, und sie sucht jetzt das Heil in der Vertragskündigung. Dies, obwohl sie nur für einen kleinen Teil der Bauarbeiter Renten auszahlen muss. Denn die meisten beziehen mit 65 keine Rente, sondern nehmen das angesparte Alterskapital.
Über die Kündigung kann der Präsident der FAR-Stiftung, Christoph Häberli, nur den Kopf schütteln. Der Arbeitsrechtler sagt, die Bau-Frührentner verursachten der Auffangeinrichtung keinen grossen administrativen Aufwand. Den besorge die Stiftung nämlich selber. Häberli vermutet in der Kündigung deshalb politische Gründe: «Das sieht nach einem Angriff der Arbeitgeber auf alle Vorruhestandsregelungen aus. Solche sind nicht in ihrem Interesse.» Neben dem Bau kennen auch die Maler und Gipser, das Ausbaugewerbe sowie weitere Berufsgruppen fortschrittliche Lösungen für eine Frühpensionierung.
Spektakulärer Kampf Baregg-Blockade brachte Frührente
HISTORISCH: Baubüezer legen 2002 am Bareggtunnel den Verkehr lahm. (Foto: Keystone)
Minutiös hatte die Unia-Vorgängerin GBI unter Präsident Vasco Pedrina den Tag vorbereitet. Am 4. November 2002 sollten protestierende Bauarbeiter den Bareggtunnel im Kanton Aargau eine halbe Stunde lang blockieren.
Sie wollten der ganzen Schweiz deutlich machen: Die Baubüezer wollen das Rentenalter 60. Und zwar jetzt! Sogar eine falsche Fährte hatten die Streikführer gelegt: Sie gaben bekannt, die Schlussdemo werde in Olten stattfinden. Damit die Aktion am Baregg nicht zu früh bekannt wurde.
20 KILOMETER STAU. Und es klappte wie am Schnürchen. Bis die rund tausend Bauarbeiter vor dem gesperrten Tunnel standen. Nun aber wollten diese unbedingt ihre Kollegen auf der anderen Seite treffen und rannten in den leeren Tunnel hinein. Damit hatte niemand gerechnet. Die Folge: Die Blockade dauerte mehr als anderthalb statt nur eine halbe Stunde, die Autos stauten sich auf zwanzig Kilometern.
Trotz dieser kleinen Panne war die spektakuläre Aktion der Durchbruch fürs Rentenalter 60. Wenige Tage später knickte der Baumeisterverband ein, und schon im Juli 2003 konnte der erste Bauarbeiter früher in Pension gehen. (che)
Die ganze Geschichte und die Hintergründe dazu gibt’s in der Unia-Broschüre Rentenalter 60 auf dem Bau: Wie es dazu kam. Gratis via bau@unia.ch; Download unter www.rebrand.ly/baregg.