Andreas Rieger
Am Kongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) diskutierten auf einem Podium CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, ihre Amtskollegin Nicola Beer von der FDP und Andrea Nahles, die neue SPD-Vorsitzende. Die Spitzenpolitikerinnen stritten sich über die geplante Deregulierung des Arbeitsgesetzes, über Migrationspolitik, über öffentliche Investitionen. Einig waren sich die drei Frauen nur beim Thema Pflegenotstand. In der Pflege fehlen in Deutschland derzeit Zehntausende Berufsleute, in den nächsten Jahren werden es Hunderttausende sein. Die ARD-Tagesschau brachte es so auf den Punkt: «Notstand Personal: überlastet, ausgelaugt – und weg.»
Zehntausende fehlen in
Deutschland in der Pflege.
EINMÜTIG. Das Podium am DGB-Kongress ist sich einig: «Aufwertung der Pflegeberufe» will Beer. «Mehr Personal pro pflegebedürftige Person» verlangt Kramp-Karrenbauer. «Die Löhne müssen rauf» fordert Nahles. Alle wollen umgehend mehr und kostenlose Ausbildungsplätze und bessere Arbeitsbedingungen. Getoppt werden sie am Tag darauf noch von Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich, die am DGB-Kongress ebenfalls die «Aufwertung der Pflege» verspricht. Und sie weist darauf hin, dass Pflegearbeit ja wohl so schlecht gestellt sei, weil sie Frauenarbeit sei.
WIDERSPRUCH. Die Gewerkschafterinnen applaudierten, doch so viel Schmusekurs ist ihnen nicht geheuer. Fordern nicht die Arbeitgeber von FDP und CDU mit der Revision des Arbeitsgesetzes eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen? Setzt die neue Regierung nicht die Sparpolitik fort? Und wehren sich die Spitäler und Pflegeinstitutionen nicht weiterhin hartnäckig gegen jeden Branchen-GAV? Die deutsche Gewerkschaft Verdi musste in den letzten Jahren jeden GAV aufwendig Betrieb für Betrieb gegen die jeweiligen Arbeitgeber erkämpfen. Denn diese wollen im weitgehend privatisierten Bereich Gewinn machen. Verdi verlangt dagegen: «Pflege statt Profit!» Was es jetzt für eine nachhaltige Aufwertung der Pflege braucht, sind gute Flächen-GAV mit allgemeinverbindlichen Mindestlöhnen. Dazu kann die Politik beitragen – wenn sie denn Wort hält.