Maríanna Traustadóttir ist beim isländischen Gewerkschaftsbund verantwortlich für die Gleichstellung. Im Interview erklärt sie, warum das neue Lohngleichheitsgesetz eine Pionierleistung ist.
Maríanna Traustadóttir: «In Island kontrollieren die Gewerkschaften 92 Prozent des Arbeitsmarkts.» (Foto: zVg)
work: Das isländische Lohngleichstellungsgesetz, der «Equal Pay Act» vom 8. März 2017, ist sehr detailliert, mit seitenlangen Ausführungen…
Maríanna Traustadóttir: Oh, so kompliziert ist das nicht. Aber schauen Sie unseren «Equal Pay Standard » an! Der ist in der Tat ein Meisterstück. Wir haben vier Jahre daran gearbeitet, Hunderte von Sitzungen abgehalten.
Der «Standard» ist die Basis des neuen Gesetzes. Hat er denn alleine nicht funktioniert?
Der «Equal Pay Standard» war ein Pilotprojekt, das wir 2013 gestartet haben und das nun zu Ende geht. Das Resultat ist akzeptabel, aber es haben lange nicht alle Firmen mitgemacht. Ein Stück weit ist das auch verständlich, weil Firmen und Behörden bei neuen Regeln am Anfang oft noch zögern und nicht gleich mitmachen.
Was verlangt denn nun der neue «Equal Pay Act» genau?
Er verlangt zwingend, dass alle Firmen mit mehr als 25 Angestellten das Zertifikat des «Equal Pay Standards» haben müssen. Es ist ein Gesetz, alle sind verpflichtet, sich daran zu halten. Nun müssen die Firmen beweisen, dass sie gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit zahlen. Wichtig ist der Begriff «gleichwertige Arbeit». Das heisst zum Beispiel, dass Kindergärtnerinnen nicht weniger verdienen dürfen als ein Chauffeur, der bei der gleichen Gemeinde angestellt ist und der mit dem Lastwagen Sand bringt für den Spielplatz. Die Dauer der Ausbildung und die Qualifikation müssen verglichen werden, so dass klassische Frauenberufe grundsätzlich bessergestellt werden. Nur so können wir wirkliche Lohngleichheit erreichen.
Bei uns will der Bundesrat auf freiwilliger Ebene Lohngleichheitsüberprüfungen einführen, ohne Sanktionen. Worauf muss man dabei besonders achten?
Wichtig ist die Information. Firmen, die schon mitmachen, informieren andere Firmen über ihre Erfahrungen. Und vor allem müssen die Sozialpartner sowohl Arbeitgeber wie Angestellte gut informieren. Wir von der isländischen Gewerkschaft haben ein sehr effizientes Schulungssystem für unsere Vertreterinnen und Vertreter vor Ort. Es kann nur funktionieren, wenn alle Beteiligten gut Bescheid wissen.
Sie waren im März zu Gast bei der französischen Gewerkschaft CGT. Im Juli kommen Sie für einen Vortrag nach Bern. Lässt sich denn das isländische Gesetz auf andere Länder übertragen?
Ja. Ich war kürzlich auch in New York, wo sich die Gewerkschaften ebenfalls für unsere Arbeit interessieren. Wir sind uns bewusst, dass wir eine Pionierrolle haben, darum haben wir den «Equal Pay Standard» und den «Equal Pay Act» von Anfang an nach internationalen Standards verfasst. So kann unser Modell in anderen Ländern mit einigen leichten Anpassungen übernommen werden. Die internationale Solidarität ist uns ein wichtiges Anliegen. Die Gewerkschaften müssen weltweit viel stärker zusammenarbeiten und einander gegenseitig helfen.
Warum gelingt es ausgerechnet dem kleinen Island, diese Pionierrolle zu übernehmen?
Der Schlüssel ist die enge Zusammenarbeit zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften. Das erfordert von allen Seiten gegenseitigen Respekt und Achtung, um gemeinsam die besten Lösungen zu finden. Die Umsetzung der Gleichstellung kann nur auf dieser Ebene funktionieren. Was auch ein wichtiger Punkt ist: Bei uns in Island kontrollieren die Gewerkschaften 92 Prozent des Arbeitsmarktes. Die Arbeitgeber müssen mit uns zusammenarbeiten, sonst geht gar nichts. Und es ist sicher auch von Vorteil, dass wir so ein kleines Land sind. Bei 330 000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist es einfacher, alle zusammenzubringen und mit allen zu reden.
Wir Schweizerinnen haben ja im Jahr 1991 den Isländerinnen schon den Frauenstreik nachgemacht, mit grossem Erfolg. Worauf müssen wir diesmal achten, wenn wir das isländische Modell übernehmen wollen?
Oh, also erst einmal: wir vermeiden in Island das Wort «Streik». Wir verwenden den isländischen Ausdruck «Kvennafri Dagur», das heisst «der Tag, an dem die Frauen freinehmen». Die internationalen Medien haben unseren «Kvennafri» dann mit «Frauenstreik» übersetzt. Gelegentlich fordern bei uns progressive Frauen, dass wir nun auch von «Streik» reden. Aber ich sage ihnen immer, es ist wichtig, beim traditionellen «Kvennafri » zu bleiben, damit wir alle zusammen dahinterstehen können. Wir haben damit eine Tradition begründet, und an Traditionen soll man bekanntlich nicht rütteln, oder? (lacht).
Gleichstellung: Der lange Kampf der Isländerinnen
Punkto Gleichstellung ist Island heute eines der fortschrittlichsten Länder der Welt. Das hat eine lange Geschichte. In der isländischen Gesellschaft sind viele Männer oft monatelang als Fischer und Seeleute auf dem Meer unterwegs, sodass es die Frauen gewohnt sind, daheim die Führung zu übernehmen.
WENDE. Am 24. Oktober 1979 streikten 50 000 Frauen in Island. Der «Kvennafri» war der Wendepunkt in der isländischen Frauenpolitik. Bald darauf wurde Vigdís Finnbogadóttir zur ersten demokratisch gewählten Staatspräsidentin der Welt. Die alleinerziehende Mutter eines Adoptivkindes hatte zuvor als Französischlehrerin und im Theater gearbeitet. Gewählt wurde sie nicht zuletzt dank der Unterstützung durch die selbstbewussten Fischersfrauen.
Heute arbeiten in Island 80 Prozent der Frauen, das ist die höchste Zahl aller OECD-Länder. Gleichzeitig hat Island mit durchschnittlich 2,1 Kindern pro Frau die höchste Geburtsrate. Weltweit hat Island den tiefsten Lohnunterschied zwischen Mann und Frau. Aber er beträgt immer noch über 14 Prozent.
DRUCK. Am 24. Oktober 2016 haben 30 000 Frauen um punkt 14.38 Uhr die Arbeit niedergelegt, da sie nach dieser Zeit wegen der Lohndifferenz im Prinzip gratis arbeiten. Damit haben sie genügend Druck gemacht, sodass am 8. März 2017 das neue Lohngleichstellungsgesetz vorgestellt wurde. Bis in vier Jahren soll damit die Lohndiskriminierung von Frauen in Island komplett beseitigt werden. (sr)