Unsere Lebenserwartung hängt stark davon ab, wo wir in der Gesellschaft stehen. Manager, Anwältinnen und andere Gutverdienende haben in der Schweiz eine geringere Wahrscheinlichkeit, vor dem Rentenalter zu sterben, als Angestellte und Arbeiter. Auch die Zeit, die wir in Rente leben, ist für Personen mit hoher Bildung und hohem Einkommen länger.
UNGERECHT. Eine neue Studie zeigt für Westdeutschland (rebrand.ly/lebenserwartungsstudie), wie sich die Lebenserwartung von Männern ab 65 Jahren für unterschiedliche Einkommen entwickelt hat. Die Forschenden ordneten dazu die Rentner nach dem Einkommen, das diese über ihr ganzes Erwerbsleben verdient haben. Für die 10 Prozent aller Rentner mit den höchsten Einkommen ist die Lebenserwartung deutlich gestiegen (siehe Grafik). Während die einkommensstärksten Neurentner der Jahrgänge 1926 bis 1928 durchschnittlich noch 18 Jahre lebten, liegt die Lebenserwartung der Jahrgänge 1947 bis 1949 bei 22 Jahren. Anders zeigt sich die Entwicklung bei den tiefsten Einkommen: Hier ist die Lebenserwartung nur um ein Jahr gestiegen. Die reichsten, 1947 bis 1949 geborenen Neurentner werden 7 Jahre älter als die ärmsten.
Es ist unklar, wie gross die Lebenserwartungs-Schere zwischen Arm und Reich in der Schweiz ist. Sicher ist, dass es die Lebenserwartungs-Schere auch hier gibt und dass sie in der Altersvorsorge Einkommen von unten nach oben umverteilt. Der Mechanismus ist so einfach wie traurig: Versicherte mit tiefen Einkommen, die vor oder kurz nach der Pensionierung sterben, zahlen weit mehr in die Vorsorge ein, als sie beziehen, und finanzieren damit die Renten der länger lebenden Gutverdienenden mit. Das schwächt die solidarische Finanzierung der AHV. Gutverdienende zahlen zwar mehr AHV-Beiträge, als für eine Maximalrente nötig wären. Sie erhalten aber auch über eine längere Zeit Leistungen als Normalverdienende. Eine Erhöhung des Rentenalters würde das Problem noch verschärfen: Ein oder zwei Jahre länger zu arbeiten verringert für die tiefen Einkommen die Zeit in Rente verhältnismässig stärker und verteilt noch mehr Geld von unten nach oben um.
David Gallusser ist Ökonom und Unia-Mitglied.