Jean Ziegler
Nie in meinem Leben, auch nicht in meinen schlimmsten Albträumen, hätte ich daran gedacht, einmal eine SVP-Initiative zu unterstützen. Wenn auch aus anderen Gründen. Ende März veröffentlichte der Bundesrat fast verschämt ein trockenes Communiqué. Inhalt: Den osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten soll erneut ein Solidaritätsbeitrag von 1,3 Milliarden Franken überwiesen werden. Offiziell sollen damit Entwicklungsprojekte finanziert werden, dank denen der Rückstand zum gemeinsamen europäischen Markt verringert werden könnte. Noch am gleichen Tag verlangte die SVP eine referendumsfähige Gesetzesvorlage, damit die Schweizerinnen und Schweizer über die Milliarde abstimmen können.
JAGD AUF FLÜCHTLINGE. In der Flüchtlingspolitik verletzen die osteuropäischen Staaten permanent sämtliche rechtlichen und moralischen EU-Verpflichtungen. Mit von der Nato geliefertem Stacheldraht, Mauern und staatlichen Schlägerbrigaden verhindern sie, dass gepeinigte Flüchtlingsfamilien aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan in ein EU-Land kommen und Asyl beantragen können. Seit der Uno-Flüchtlingskonvention von 1951 ist das Recht auf Asyl ein universelles Menschenrecht für alle, die in ihrer Heimat aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen ihr Leben riskieren.
Die Schweiz honoriert schwerste Menschenrechtsverletzungen in Osteuropa mit Milliarden.
2004 kamen Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Polen zur EU. Drei Jahre später folgten Rumänien und Bulgarien. Für alle diese bis auf die Knochen korrupten Staaten spricht Ungarns autokratischer Regierungschef Viktor Orbán: «Wir leben in ethnisch homogenen Gesellschaften. Ihr Fundament ist das Christentum. Die Flüchtlinge bedrohen unsere christliche Identität.» (Le Monde, 29. 3. 2018)
Orbáns Staatspartei Fidesz unterhält eine eigene Miliz. Diese beteiligt sich an der 170 Kilometer langen Südgrenze zu Serbien an der Abwehr von Flüchtlingen: Wer am Zaun gefasst wird, muss damit rechnen, zusammengeschlagen und wegen des «Versuchs eines illegalen Grenzübertritts» für drei Jahre ins Gefängnis gesteckt zu werden.
EINE FREUNDLICHKEIT. Warum will der Bundesrat diese 1,3 Milliarden Franken den Willkürregimen im Osten zahlen? Die inoffizielle Erklärung: Es handle sich um eine Freundlichkeit, die die laufenden Verhandlungen über einen Rahmenvertrag zwischen der EU und der Schweiz erleichtern könnte.
Mir dreht sich der Magen um, wenn ich daran denke, dass auch meine Steuern dazu dienen sollen, schwerste Menschenrechtsverletzungen in Osteuropa mit Milliarden zu honorieren. Ich werde mich deshalb mit aller Kraft für die Versenkung dieser «Solidaritätszahlung» einsetzen. Notfalls eben auch im Rahmen eines von der SVP lancierten Referendums.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein neuestes Buch, «Der schmale Grat der Hoffnung», ist
im März 2017 auf deutsch erschienen.