Schweden baut die Carrera-Rennbahn aus der Spielkiste jetzt im Massstab 1 : 1 – mit stromführenden Schienen in den Autostrassen. Was hat das mit Karl Marx zu tun?
IN DER SCHIENE LIEGT DIE KRAFT: Montage von stromführenden Schienen unter dem
Deckbelag der Strasse. Sie versorgen die Motoren der E-Autos mit Energie. (Foto: Erodarlanda)
Plötzlich finden fast alle Karl Marx gut. Selbst die NZZ. Alle machen sich einen eigenen Reim auf jenen Herrn Karl, der rauchte wie ein Bürstenbinder, zu viel soff und seine Furunkelschmerzen mit Morphium dämpfte. Und deshalb relativ früh für immer auf seinem Sofa einschlief. Ohne den Trost der Religion, dieses Opiums des Volkes.
Der Theoretiker Karl Marx war zeitlebens fasziniert von der Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse. Er versuchte zu verstehen, wie die Welt des Geldes, der Waren, des Mehrwerts, der Kapitalisten und der von ihnen ausgebeuteten Arbeiterinnen und Arbeiter funktioniert.
Er war ein permanenter Revisionist. Immer wieder revidierte er aufgrund neuer Fakten seine Analysen und Positionen. Deshalb finden in seinen Schriften alle fast immer das, was sie jeweils suchen. Nur nicht etwas Konkretes darüber, wie denn Sozialismus und Kommunismus einst funktionieren könnten.
Was bleibt, sind zwei Dinge. Erstens der politische Standort von Marx: an der Seite der Menschen mit kleinen, mittleren und oft keinen Einkommen. Und zweitens seine Arbeitsmethode: «Das Kapital» ist keine Bibel, sondern eine Betriebsanleitung, wie man Gesellschaften analysiert, um sie eines Tages vielleicht auch zu verändern.
ROBOTERAUTOS. Wir stehen am Beginn der zweiten Elektrifizierung der Gesellschaft. Diese wird, kombiniert mit der Digitalisierung aller Abläufe und Bewegungen, unser Leben grundlegend verändern. Der technische Fortschritt öffnet potentiell den Weg hin zu demokratischen, sozialistischen, umweltfreundlichen und selbstverwalteten Gesellschaften. Noch wissen die Linken nicht sehr genau, wie diese aussehen sollen und werden. Aber viele wittern zu Recht zumindest etwas rosarote Morgenluft.
Die Mobilität kostet Industriegesellschaften 10 bis 15 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Und somit unheimlich viel. In der Schweiz macht das rund 80 Milliarden Franken im Jahr aus. Pro Nase und Jahr somit 10’000 Franken.
Der technische Fortschritt ermöglicht nächstens die Überwindung des privaten Eigentums an fahrbaren Untersätzen. Das haben die Autokonzerne inzwischen begriffen und wollen uns deshalb künftig direkt oder indirekt von A nach B chauffieren – mit Fahrzeugflotten, die ihnen gehören. Um ihre Gewinne zu steigern. Und dies dank Elektromobilität und Roboterautos erst noch umweltfreundlicher als heute.
In Schweden bewegt sich diesbezüglich viel. Volvo will schneller als alle anderen europäischen Automobilkonzerne keine reinen Benzin- oder Dieselfahrzeuge mehr herstellen. Auch dank den chinesischen Eigentümern.
ELEKTRO-RÜSSEL. Und jetzt macht Schweden einen Test mit Stromschienen, die in die Strasse verlegt sind. Schienen, wie wir sie als Kinder und Kindische von den Carrera-Rennbahnen her kennen. Das Carrera-Konzept im Schweden-Massstab 1 : 1.
In alle wichtigen Strassen Schwedens sollen 22’000 Kilometer Stromschienen verlegt werden. Pro Stunde können sie, falls die Tests erfolgreich sein sollten, einen Kilometer Stromschiene verlegen. Und dies zum Preis von 500’000 Franken. Entsprechend ausgerüstete Autos, Busse und Lastwagen holen sich mit einem Rüssel den Strom aus den in sechs Zentimetern Tiefe verlegten, sicheren Stromschienen. Vor dem Überholen und dem Abbiegen auf Nebenstrassen wird der Elektro-Rüssel eingezogen, und das Fahrzeug bewegt sich dank vorhandener kleiner Batterie weiter.
Die Stromschienen sollen billiger sein als die in Schweden für Lastwagen bereits getesteten elektrischen Oberleitungen aus dem Hause Siemens. Und können im Gegensatz zu diesen auch von Autos genutzt werden.
Links zum Thema:
- rebrand.ly/Stromschiene
Stromschienen funktionieren offenbar auch in harten schwedischen Wintern, wie die Teststrecke zu beweisen scheint.
- rebrand.ly/vattenfall
Deutschland und selbst die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel scheinen an diesen Stromschienen interessiert zu sein. Das teilt das am Projekt beteiligte Unternehmen Vattenfall mit.
- rebrand.ly/diewelt
Kein Wunder, dass die deutsche Tageszeitung «Die Welt», die der CDU nahesteht, über diese Idee positiv berichtet.
- rebrand.ly/ruessel
Rudi Rüssel ist ein Rennschwein. Und der Markenname einer fossilen Tankstellenkette. Beide haben mit den schwedischen Elektro-Rüsseln nichts zu tun.