Jean Ziegler
Es war ein trüber, dunkler Februarabend im Jahre 2002: die letzte grosse Veranstaltung im hitzigen Abstimmungskampf über den Beitritt der Schweiz zu den Vereinten Nationen. Die Mehrzweckhalle im Kanton Baselland war zum Bersten voll.
BLOCHERS UNWAHRHEIT. Christoph Blocher zeigte sich in Hochform. Sein Publikum lachte, klatschte, grölte. Dann kam sein Hammerargument: «Herr Ziegler, wollen Sie, dass Schweizer Soldaten für irgendeine absurde Uno-Operation in irgendeiner verlorenen Ecke der Welt sterben? Wie werden Sie das den Familien der Verletzten und Toten erklären?» Donnernder Applaus.
Dabei verbreitete er glatt die Unwahrheit: Kein Uno-Mitgliedstaat muss Blauhelme stellen, wenn er nicht will. Artikel 43 der Uno-Charta verlangt eine «spezielle Vereinbarung» zwischen der Weltorganisation und jedem Staat, der an kriegerischen, vom Sicherheitsrat verordneten Aktionen teilnimmt.
Abgestimmt wurde einen Monat später: Das Volksmehr für den Uno-Beitritt betrug 54 Prozent. Auf Vorschlag der damaligen Aussenministerin Micheline Calmy-Rey beschloss der Bundesrat 2011 die Schweizer Kandidatur zum Sicherheitsrat für das Jahr 2022. Der Sicherheitsrat ist die Exekutive der Weltorganisation. Ihm gehören 15 Staaten an: Als ständige Mitglieder die fünf Siegermächte des Zweiten Weltkriegs (USA, Russland, Frankreich, England und China); dazu 10 Mitgliedstaaten, die auf jeweils zwei Jahre gewählt werden.
Im Uno-Sicherheitsrat kann die Schweiz für Menschenrechte
und kollektive Sicherheit eintreten.
GUTE DIENSTE. Seit ihrem Beitritt spielt die Schweiz in der Uno eine hervorragende Rolle. Sie präsidierte mit Joseph Deiss 2010 die Generalversammlung. Im Menschenrechtsrat ist die Schweizer Diplomatie entscheidend wichtig. Unser Land ist ein grosser Beitragszahler. Die guten Dienste im Zeichen der Konfliktschlichtung und des Kampfes gegen das Elend, welche die Uno leistet, sind unabdingbar. Kurz: Unter den 193 Mitgliedstaaten der Weltorganisation ist das Prestige der Schweiz hoch, und die Wahl unseres Landes in den Sicherheitsrat wäre so gut wie sicher.
Doch nun kommen die Höhlenbewohner von der SVP und wollen den Bundesrat zwingen, die Schweizer Kandidatur zurückzuziehen. Ihre Behauptung: Eine Mitgliedschaft im Sicherheitsrat verletze die Neutralität. Blödsinn! Schweden und Österreich, neutral wie die Schweiz, haben im Sicherheitsrat mitgearbeitet. Unsere Welt ist verwüstet von Kriegen, Hunger und fürchterlichem Elend. Ohne die Menschenrechte, ohne kollektive Sicherheit gibt es keine Zivilisation. In der Exekutive der Weltorganisation kann die Schweizer Diplomatie für diese Werte eintreten.
Es hängt jetzt von uns allen ab, ob die Hinterwäldler der SVP oder die Vertreterinnen und Vertreter einer weltoffenen, aktiven Neutralität den Kampf um die Schweizer Kandidatur gewinnen.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein neuestes Buch, «Der schmale Grat der Hoffnung», ist im März 2017 auf deutsch erschienen.