2016 wechselte das Hotel-Bijou die Hand. Dann fehlte plötzlich das Geld für Waren und Löhne. Die Spuren führen zum Schwefel-Milliardär Alexei Fedoritschew aus Russland.
JUWEL: Das Hotel Meierei liegt an bester Lage am St. Moritzer See. (Foto: Alamy)
Anfang Juni 2018: In einer Woche soll das Hotel und Restaurant Meierei in St. Moritz GR für die Sommersaison eröffnet werden. Die 17 Saisonmitarbeitenden sind soeben angereist, viele von ihnen aus Portugal oder Süditalien. Doch es fehlt an Geld. Auch für ihre Löhne. Kadermitarbeiterin Angelika Tschopp * erinnert sich: «Es war nicht einmal genügend Geld da, um eine Tomate zu kaufen.»
Der Grund: Der Verwaltungsrat der «Meierei» hat nicht genügend Mittel für den Betrieb überwiesen. Und zwar schon seit Monaten. Die offenen Rechnungen von Lieferantinnen und Handwerkern, aber auch von AHV und Pensionskasse belaufen sich inzwischen auf über 700’000 Franken. Tschopp weiss nicht mehr weiter und ruft die Unia zu Hilfe.
LETZTE FRIST
Für die Gewerkschaft wird sofort klar: So darf man das Hotel nicht öffnen. Sonst riskieren die Angestellten, dass sie ihren Lohn nie sehen. «Meierei»-Mitarbeiterin Tschopp setzt dem Verwaltungsrat eine letzte Frist: Mindestens 500’000 Franken brauche das Hotel innert vier Tagen. Doch es kommen nur 150’000. Tschopp: «Das hätte nicht einmal die Löhne für drei Monate gedeckt. Ganz zu schweigen von den Zutaten für die Küche, der Heizöltank war fast leer, wir hatten nicht einmal Benzin für den Rasenmäher! Und das Elektrizitätswerk drohte, den Strom abzustellen, wenn wir nicht endlich die Rechnungen bezahlen würden.»
Jetzt gibt es nur noch einen Ausweg: Die «Meierei»-Leitung vor Ort kündigt allen Angestellten, um weiteren Schaden abzuwenden. Tschopp muss allen Gästen absagen, die für den Sommer gebucht haben, darunter Familien, die seit 20 oder mehr Jahren hier Ferien machen. Sowie Geburtstagsfeste, Firmenanlässe und eine Hochzeit. Die «Meierei» schliesst.
«Von sich aus hätte uns Herr
Fedoritschew keinen Rappen
bezahlt.»
DER REICHE RUSSE
Was ist passiert mit dem Hotel-Bijou? Seit 2016 hat es neue Besitzer. Präsident und einziges Mitglied des Verwaltungsrats ist der Franzose Alexandre Valladier. Aber er scheint nur ein Strohmann zu sein. Im Hintergrund führen alle Spuren zu Alexei Fedoritschew, einem reichen russischen Rohstoffhändler mit Wohnsitz in Monaco (siehe «Russen-Mafia am Werk?»). Gut möglich, dass ihm die traumhafte Lage der «Meierei» gefiel: in einer Waldlichtung direkt am St. Moritzer See. Es sei einer der schönsten Betriebe im Engadin, schwärmt Ex-Mitarbeiterin Tschopp.
Doch schon wenige Monate nach dem Verkauf fehlt das Geld. Jetzt kommen Zahlungsbefehle vom Betreibungsamt. «Meierei»-Mitarbeiter Thomas Gerber *, erzählt: «Ab und zu überwies uns der Verwaltungsrat 100’000 Franken. Aber das reichte nicht.» Aus Geldmangel muss man den Start der Wintersaison um eine Woche verschieben. Kurz vor Weihnachten reist ein Vertreter des Hotelbesitzers an und sagt, alles komme gut. Doch die Lieferantinnen wollen jetzt Cash sehen. Mitarbeiter Gerber: «Wir fingen an, die Bareinnahmen im Hotelsafe zu horten.»
PARTY-LAUNE: Der russische Oligarch Alexei Fedoritschew mit Gattin Uliana Tseytlina. (Foto: PD)
Was führt Oligarch Fedoritschew im Schilde? Weder der superreiche Russe noch seine Firma reagieren auf die Fragen von work. Doch die Ex-«Meierei»-Mitarbeitenden Tschopp und Gerber haben eine Vermutung: Fedoritschew will aus der Gebäudegruppe sein Luxusferienhaus machen. Hotelgäste und Ausflüglerinnen würden da nur stören. Auch für Unia-Frau Anke Gähme ist der Fall klar: «Fedoritschew will sich an dieser Top-Lage festsetzen. Er hat das Hotel und die Beschäftigten seinen Privatinteressen geopfert.» Allerdings dürfte der Oligarch damit nicht durchkommen.
GEMEINDE SAGT «NJET»
Für einen Umbau des Hotels braucht Fedoritschew das Okay der Gemeinde. Und diese blockt. Gemeindepräsident Sigi Asprion sagt zu work, man habe ein «grosses Interesse» an einem Hotel- und Gastronomiebetrieb in der «Meierei», wie er bisher bestanden habe. Schon vor zehn Jahren lehnte die Gemeinde deshalb das Baugesuch eines früheren Besitzers ab, der einen Teil des Hotels zu einem Ferienhaus machen wollte. Auch das Bundesgericht bestätigte 2011 den Entscheid der Gemeinde. Heute stellt Gemeindepräsident Asprion klar: «Dieser Bundesgerichtsentscheid gilt auch für mögliche Pläne, die ein ähnliches Ziel verfolgen.»
Für das betroffene Küchen-, Service- und Putzpersonal ist der Schaden aber schon angerichtet: sie stehen auf der Strasse. Immerhin: Heute haben alle ihren Lohn bis zur Kündigungsfrist bekommen. Nur dank dem Druck der Unia, sagt Kadermitarbeiterin Tschopp: «Von sich aus hätte uns Herr Fedoritschew keinen Rappen gezahlt.»
* Namen geändert
Alexei Fedoritschew: Russen-Mafia am Werk?
Zuerst handelte der Russe Alexei Fedoritschew mit Autoersatzteilen. Oder, laut einer anderen Quelle, mit Eisenbahnschwellen. Auf jeden Fall verdiente er während des Zusammenbruchs der Sowjetunion seine ersten Millionen. Dann stieg er dick ins Geschäft mit Schwefel ein, der in der chemischen Industrie sowie für Dünger verwendet wird. Und wurde immer reicher.
LUSCHER DEAL? Das wirkliche Vermögen des 63jährigen (Wohnsitz im Steuerparadies Monaco, verheiratet mit dem Ex-Playboy-Model Uliana Tseytlina) ist nicht bekannt. Er selber sagt, er habe mehr als eine Milliarde allein in der Ukraine investiert. In der aktuellen Liste der reichsten Russen des US-Magazins «Forbes» taucht der Schwefelhändler aber nicht auf. Dort sind Personen aufgeführt, die mehr als eine Milliarde Dollar besitzen. Möglicherweise ist Fedoritschew also nur ein kleiner Fisch unter den Oligarchen. Klar ist: Noch heute verdient er sein Geld mit Schwefel und Dünger sowie Getreide. Was den Handel mit Gerste angeht, soll seine Firma Fedcom Invest sogar zu den weltgrössten Playern gehören. Mehr als drei Millionen Tonnen pro Jahr liefert die Firma alleine von der Ukraine nach Saudiarabien, weiss die Zeitung «The National» aus den Arabischen Emiraten zu berichten.
Und nicht immer geht bei diesen Deals alles glatt. Dieser Ansicht ist zumindest die ukrainische Antikorruptionsbehörde, in deren Visier Fedoritschew letztes Jahr geriet: Er wurde verdächtigt, 295’000 Tonnen Gerste gestohlen zu haben. Fedoritschew bezeichnete die Untersuchung der Behörde als «haltlose Schmutzkampagne».
FEDCOM-FUSSBALL: Ein zwielichtiger Oligarch sponsert AS Monaco, der Club des Schweizer Ex-Nati-Goalies Diego Benaglio. (Foto: Keystone)
DER FUSSBALL. Noch schwerer waren die Vorwürfe, die 2002 die französische Tageszeitung «Le Monde» erhob. Sie zitierte Dokumente des französischen Nachrichtendienstes, wonach Fedcom Invest im Verdacht stehe, «eine Tarnfirma der russischen Mafia» zu sein. Daraufhin bekam Fürst Albert von Monaco kalte Füsse. Er stoppte kurzerhand den bereits eingefädelten Verkauf des Fussballclubs AS Monaco, der in der obersten französischen Liga spielt. Das gefiel dem Oligarchen gar nicht. Denn Fussball ist das grösste Steckenpferd des Rohstoffhändlers. Seine Firma Fedcom Invest ist schon seit den 1990er Jahren Trikotsponsorin von AS Monaco. Zuvor war Fedoritschew Mehrheitseigentümer von Dynamo Moskau gewesen. Und in jüngeren Jahren hatte er selber einige Monate für diesen Verein gespielt. Wenn auch nur in der zweiten Mannschaft.
DER OLIGARCHEN-KREIS. Fedoritschew klagte vor einem Gericht in Monaco gegen «Le Monde» und bekam recht. Zähneknirschend bezahlte die Zeitung, äusserte aber auch Zweifel an der Unabhängigkeit der monegassischen Justiz. Solche Zweifel führten letztes Jahr dazu, dass Monacos Justizminister zurücktreten musste. Es kam aus, dass er vom russischen Oligarchen Dmitri Rybolowlew Geschenke angenommen hatte, unter anderem eine Einladung zu Skiferien in Rybolowlews Chalet in Gstaad. Im Gegenzug soll der Minister dafür gesorgt haben, dass der Kunsthändler Yves Bouvier, mit dem Rybolowlew im Clinch lag, in Monaco verhaftet wurde. Dmitri Rybolowlew ist Geschäftspartner von Alexei Fedoritschew und Mehrheitsaktionär von AS Monaco. Der Kreis der Oligarchen schliesst sich.