Die Schweiz sei ein leuchtendes Beispiel in der Verteidigung der Arbeiterrechte, sagt Esther Lynch vom Europäischen Gewerkschaftsbund im work-Interview.
WENN DIE FUNKEN STIEBEN: Die Brille schützt die Augen, die Flankierenden den Lohn. (Foto: Keystone)
work: Esther Lynch, wir verteidigen unsere flankierenden Massnahmen zum Lohnschutz gegen die Europäische Union. Haben Sie schon davon gehört?
Esther Lynch: Natürlich! Dieser Kampf ist sehr wichtig. Nicht nur für die Arbeitnehmenden in der Schweiz, sondern in ganz Europa. Ihr müsst wissen, dass die Arbeitnehmenden in ganz Europa auf eurer Seite stehen. Alle leiden unter den Druckversuchen der EU-Kommission.
Wie geht die Kommission vor? Hat sie einen Plan?
Sie sucht sich ein Land nach dem anderen heraus, um alle flankierenden Massnahmen zu beseitigen. Sie will auch keine wirksamen Kontrollen in den Betrieben. Dabei geht es generell um die Löhne, nicht nur um jene der entsandten Arbeitnehmenden. Es ist eine grosse Lüge, wenn behauptet wird, diese Leute würden niedrigere Löhne akzeptieren. Sie wollen im Gegenteil gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
ESTHER LYNCH. Leitende Sekretärin beim Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB). (Foto: ETUC)
Löhne kann man auf verschiedene Arten schützen. Macht der Europäische Gewerkschaftsbund dazu Vorgaben?
Nein. Wir setzen darauf, dass die einzelnen Gewerkschaften vor Ort am besten wissen, welches die geeigneten Massnahmen zum Schutz der Löhne sind. Wenn die Schweizer Gewerkschaften die 8-Tage-Regel verteidigen, dann vertrauen wir auf ihre Analyse, dass es diese Regel braucht.
Die Gegner beschimpfen den Gewerkschaftsbund, er sei stur und handle unverantwortlich. Ihr Kommentar dazu?
Die Gewerkschaften müssen der EU entschlossen entgegentreten und ihr klarmachen, dass es einen wirksamen Schutz der Löhne brauche. Die EU-Kommission sucht stets die «soft spots», also jene Länder, wo sie sich am leichtesten durchsetzen kann. Mit Verweis auf diese sagt sie dann, so müsse es überall sein. Standhafte Gewerkschaften sind immer auch ein Vorbild für ihre Schwesterverbände in anderen Ländern. Diese sehen dann, dass man sich mit Erfolg wehren kann.
Spielt die Schweiz in diesem Kampf eine Pionierrolle?
Die Schweiz ist ein Champion beim Lohnschutz und ein leuchtendes Beispiel in der Verteidigung der Arbeiterrechte. Wo allein der Markt regiert, verlieren die Leute das Vertrauen in die Institutionen. Sie sehen dann, dass die EU ihre Interessen nicht wahrnimmt. Brüssel erscheint nur noch als Propagandist des Prinzips «the winner takes it all» (der Sieger nimmt alles). Deshalb stimmte eine Mehrheit in Grossbritannien für den Brexit. Brüssel hat nicht begriffen, dass ein europäischer Markt strenge Regeln braucht.
«Die Leute wollen ein Europa, das die Arbeiter und Arbeiterinnen schützt.»
Aber die EU behauptet neuerdings, sie sei auf einem sozialeren Kurs. Stimmt das nicht?
Nicht alle in der EU-Kommission denken gleich. Ein Teil setzt auf Wettbewerb und sieht die Zukunft Europas in einem aggressiven Kampf um Marktanteile. Andere finden, dass die EU der Wohlfahrt von allen dienen solle. Sie wollen zwar auch Wettbewerb, aber sie sind gegen Missbräuche und befürworten Schutzmassnahmen.
Offenbar ist das noch eine Minderheit.
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker ist moderat und befürwortet eine soziale Marktwirtschaft. Deshalb konnten wir mit ihm die Idee der «Europäischen Säule für soziale Rechte» lancieren. Das ist eine Erklärung mit Grundsätzen für Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt und faire Arbeitsbedingungen. Das versuchen wir nun umzusetzen. Wir brauchen dafür einen Mechanismus, der die EU-Institutionen wie etwa die Europäische Zentralbank zwingt, im Einklang mit diesen Grundsätzen zu handeln. Also zum Beispiel sicherzustellen, dass faire Löhne bezahlt werden.
Macht Ihnen der grassierende Rechtspopulismus keine Angst?
Doch. Überall haben die Leute genug von heuchlerischen Reden. Sie wollen ein Europa, das die Arbeitnehmenden schützt. Die Gefahr ist, dass sie dabei die EU als Ganzes ablehnen und nicht mehr Teil von ihr sein wollen. Dies wird bei den kommenden Europawahlen ein entscheidendes Thema sein.
Jean-Claude Juncker hat für 2019 eine europäische Arbeitsmarktbehörde angekündigt. Bringt das was?
Eine Behörde, die europaweit gegen schlechte Arbeitsbedingungen vorgeht, wäre eine sehr gute Sache. Dann sähen die Arbeitnehmenden, dass es die EU ernst meint mit ihrem Schutz. Wenn die Leute eine soziale Vision der EU haben, wird es auch ein soziales Europa geben.
Esther Lynch (55) ist seit 2015 leitende Sekretärin beim Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB). Sie ist für die Gewerkschaftsrechte und den Lohnschutz zuständig. Auch betreut sie die Kampagne «Pay rise» (Löhne rauf!) sowie das Projekt «European Pillar for Social Rights» (Europäische Säule für soziale Rechte). Lynch ist in Dublin geboren und arbeitet in Brüssel.