Jean Ziegler
Guy Ryder ist ein energischer, sympathischer Mann von sechzig Jahren, mit klugen grauen Augen und kurz geschnittenem grauem Haar. In Liverpool geboren, studierte er Soziologie in Cambridge, wurde später Generalsekretär des britischen Gewerkschaftskongresses (TUC). Seit 2012 ist er Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf.
AUF ARBEITSSUCHE. Er redete über Katar. Unter undurchsichtigen Bedingungen vergab die Fifa 2010 die Fussballweltmeisterschaft von 2022 an das Emirat am Persischen Golf.
Seither arbeiten Zehntausende Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter auf pharaonischen Baustellen. Seit 2010 sind über 1600 von ihnen bei Unfällen gestorben. Die ILO und der Internationale Gewerkschaftsbund gehen davon aus, dass ohne weitere Schutzmassnahmen bis 2022 gegen 7000 Arbeitssklaven in Katar ihr Leben lassen werden (work berichtete).
Ryder sagte mir: «Katars Regierung verstösst gegen fast alle Regeln der ILO. Wenn die Arbeiter weiterhin auf diesen Baustellen sterben, wird es dort 2022 keine Weltmeisterschaft geben. Das garantiere ich dir.»
Die Schweiz hat praktisch alle
Anforderungen des Paktes längst erfüllt.
Migration ist ein universelles Menschenrecht. Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 sagt: «Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land, einschliesslich seines eigenen, zu verlassen sowie in sein Land zurückzukehren.» Viele Millionen Migrantinnen und Migranten sind auf unserem Planeten unterwegs. Ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen im fremden Land sind häufig fürchterlich.
Vor sechs Jahren verlangte eine Gruppe zivilisierter Staaten von der Uno die Schaffung von Normen zum Schutz dieser Menschen. Eine Arbeitsgruppe wurde geschaffen, unter dem gemeinsamen Präsidium des mexikanischen Uno-Botschafters Juan José Gómez Camacho und des klugen Schweizer Vertreters in New York, Jürg Lauber. Heute steht das Dokument, sein Titel: «Globaler Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration».
FREMDENFEINDE. Die SVP-Fraktion im Bundeshaus will verhindern, dass die Schweiz den Pakt übernimmt. Der Bundesrat verschiebt seinen Entscheid. Der unmögliche Aussenminister Ignazio Cassis fällt seinem grossartigen Botschafter Lauber in den Rücken und schwenkt auf die SVP-Position ein.
Die Situation ist absurd: Mit Flüchtlingen hat der Pakt nichts zu tun. Da gilt die Uno-Flüchtlingskonvention von 1951. Die Schweiz hat praktisch alle Anforderungen des Paktes längst erfüllt. Warum läuft die SVP trotzdem Sturm? Die meisten der Höhlenbewohner hassen Fremde, sofern sie kein sattes Bankkonto haben. Wenn die Schutzvorschriften für Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter völkerrechtlich festgeschrieben werden, ist das an sich schon unannehmbar für die SVP.
Wir leben in einer wenn auch imperfekten Demokratie. Dort sind alle Menschen gleich. An den Gewerkschaften und der sozialdemokratischen Bewegung liegt es, das Gift der Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor.
Wenn der wirklich ein Soziologe, ein Demokrat und als Linker ein Dialektiker wäre, dann wüsste er, dass These und Antithese, Meinung und Gegenmeinung zusammengehören, dass zur Demokratie die andere Ansicht gehört, dass Gewerkschaften und Sozialdemokratie noch nicht mal die Hälfte des Spektrums abdecken und wäre in der Lage, Phänomene gelassen zu betrachten und analysieren. Da er aber Ideologe und nicht Soziologe, Prediger und nicht Demokrat, Apodiktiker und nicht Dialektiker ist, schreibt er halt die polemische Prosa, für die er anstatt wissenschaftlicher Verdienste bekannt ist.
Inhaltlich bin ich mit Jean Ziele meist einverstanden. Aber sein ständiger Gebrauch des Ausdrucks „Höhlenbewohner“ und im Gegensatz dazu des Adjektivs „kluger“ für seine geachteten Freunde stören mich. Menschen, die Höhlen bewohnen sind nicht per se geistig beschränkt. Die von Jean Ziegler zum Ausdruck gebrachte Abschätzigkeit gegenüber Leuten, die SVP wählen, nützt nur den Rechten und bestärkt geradezu die Vorurteile gegen Intellektuelle.