Es geschieht am 8. November 2016: Donald Trump besteigt den Thron der USA. Entgegen allen Wahlprognosen. Und (fast) alle reiben sich die Augen. Vor allem viele Frauen. Auf einen Schlag wird ihnen bewusst: Mit der Wahl des Sexisten, Rassisten und Grapschers Trump wird das politische Pendel zurückschlagen. Mit Trump steht alles Erreichte plötzlich wieder auf dem Spiel.
Virginia Köpfli und Corinne Schärer*
Die Wut der Frauen brodelt. Am 21. Januar 2017 explodiert sie: Über eine halbe Million gehen allein in Washington gegen den neuen Grapscher-Präsidenten auf die Strasse: «Dump the Trump»: Versenkt ihn! Der «Women’s March» ist die grösste Demonstration seit Vietnam. Und die Geburtsstunde des Pussypowers. In einem Video prahlte Trump: «Wenn du ein Star bist, dann lassen die Frauen es zu. Du kannst alles machen.» Er könne die Frauen sogar zwischen den Beinen grapschen: Grab by the pussy. Gegen Trumps Vergewaltigermentalität schlagen die Frauen jetzt zurück. Mit jenem Wort, das er so verächtlich ausspuckte: Pussy. Die Frauen sagen: Viva la vulva! Und sie tragen Pussyhats. «Pussy» heisst auch Kätzchen, deshalb haben die pinkfarbenen Protestmützen zwei Ohren.
FEMINISMUS FÜR 99 PROZENT
Die neue Frauenbewegung bewegt alte und junge Feministinnen, Anti-Kapitalistinnen, Aktivistinnen aus Bürgerrechtsorganisationen gegen Polizeigewalt, Rassendiskriminierung oder für mehr Waffenkontrollen, Kämpferinnen für die gleichen Rechte von Lesben, Schwulen, Transgender, Bisexuellen und Asexuellen, Anti-Rassismus-Aktivistinnen usw. Es entsteht eine breite Bewegung jenseits der etablierten Parteien. Ihre Frontfrauen verkünden: «Mit dem Frauenmarsch wollen wir mehr als nur gegen Trump marschieren, wir wollen vorsorglich für die Frauenrechte einstehen, denn Frauenrechte sind Menschenrechte.» Eine Gruppe um die Bürgerrechtsaktivistin und Autorin Angela Davis lanciert das Manifest für einen «Feminismus für die 99 Prozent». Das Hauptargument: «Aus unserer Sicht reicht es nicht, gegen Trump und seine aggressive, sexistische, homophobe und rassistische Politik zu sein. Wir müssen auch den neoliberalen Angriff auf die sozialen Errungenschaften und die Rechte der Arbeitnehmenden bekämpfen.»
Der weisse Mittelschichtsfeminismus der letzten Jahrzehnte habe viele Frauen ausgegrenzt, Arbeiterinnen, Migrantinnen, farbige Frauen usw. Und er habe sich zu stark mit dem Kapitalismus arrangiert. Doch Gewalt «ist nicht nur häusliche Gewalt gegen Frauen, sondern auch die Gewalt der Märkte, Staatsgewalt gegen Flüchtende, diskriminierende Politik gegen Schwule und Lesben sowie institutionelle Gewalt gegen den Körper der Frau: Abtreibungsverbote, fehlender Zugang zum Gesundheitssystem».
Am 18. März 2017 erreicht die neue Frauenpower auch die Schweiz. Der Mobilisierung auf den sozialen Medien sei Dank! Zehntausende protestieren an den Frauenmärschen in Zürich und Genf.
Die Frauen haben die Nase voll. Ihre Geduld ist am Ende.
EIN HASHTAG GEHT VIRAL
Pussy heisst auf polnisch «pipka» und ist auch dort der elektrisierende Weckruf der Frauen. Gegen eine nationalistische, konservativ-katholische Rechtsregierung und deren geplantes Abtreibungsverbot. Überall in Polen strömen Frauen und Männer in Schwarz auf die Strassen.
In Kalifornien zeigen Feministinnen an Demonstrationen Plakätchen mit dem Hashtag «#MeToo». Sie protestieren gegen die immer noch alltägliche Gewalt gegen Frauen und ermutigen andere Frauen, öffentlich zu bezeugen, was sie erlitten haben. Im Zuge des Harvey-Weinstein-Skandals (verschiedene Frauen bezichtigen den US-Filmproduzenten der sexuellen Belästigung, Nötigung und Vergewaltigung) geht der Hashtag schliesslich viral. Innerhalb der ersten 24 Stunden verwenden ihn auf Facebook 4,7 Millionen Menschen in über zwölf Millionen Postings. Das renommierte US-Magazin «Time» hieft die # MeToo-Pionierinnen schliesslich als «Person des Jahres 2017» aufs Titelbild.
Am 8. März 2018 erfasst die neue Frauenpower-Welle Spanien: 6 Millionen Frauen und Männer nehmen am grossen Frauenstreik teil. Das hat Europa noch nicht gesehen: Tausende Betriebe im ganzen Land werden bestreikt, einige den ganzen Tag lang. Gegen vierzig Prozent aller Lohnabhängigen sind dabei. Bestreikt werden auch Schulen und Universitäten. Und die Frauen skandierten: «Schluss mit diesem Machismo, wir haben genug!»
Genug vom Machismo haben nach dem 14. März 2018 auch die Frauen in Brasilien: An diesem Tag wird in Rio die engagierte Linkspolitikerin Marielle Franco in ihrem Auto erschossen. Danach vergeht in Brasilien kein Tag mehr, ohne dass Hunderttausende Frauen und Männer auf die Strasse gehen. Von Rio bis Salvador da Bahia skandieren sie: «Somos todos Marielle!», Wir alle sind Marielle!
Gewerkschaftschefin Christiane Brunner spricht am Schweizer Frauenstreik, 1991. (Foto: Schweizerisches Sozialarchiv/Smuv)
WENN FRAU WILL
Die Frauen haben die Nase voll. Ihre Geduld ist am Ende. Genug von der Lohndiskriminierung, genug von der gratis Hausarbeit, genug von der Gewalt. Schon rüsten sich Feministinnen und Gewerkschafterinnen für einen zweiten Frauenstreik in der Schweiz. Frauenstreik 2.0. Er soll am 14. Juni 2019 stattfinden. 27 Jahre nach dem ersten Frauenstreik. Wir erinnern uns: 500 000 Frauen und Männer nahmen damals an Aktionen teil. Es kam zu Streiks in Betrieben, Frauen streikten bei den Hausarbeiten. Die Männer mussten übernehmen, die klassische Rollenzuteilung wurde umgekehrt und damit sichtbar: «Wenn Frau will, steht alles still!» Auch damals standen die fehlende Lohngleichheit, die Gewalt gegen Frauen und die Nichtanerkennung der Hausarbeit im Zentrum des Protests.
Der erste Frauenstreik war der grösste politische Streik der Schweiz. Und er war ein Erfolg: Er verhalf Ruth Dreifuss zwei Jahre danach in den Bundesrat. Und er brachte das langersehnte Gleichstellungsgesetz mit Vorschriften für Lohngleichheit und gegen sexuelle Belästigung. Das war der erste Streich. Der zweite Streik folgt sogleich.
* Virginia Köpfli ist für die Unia Mitorganisatorin der grossen Frauendemo am 22. September und war Mitorganisatorin des Women’s March in Zürich.
* Corinne Schärer ist Geschäftsleitungsmitglied der Unia und zuständig für die Gleichstellung sowie Co-Präsidentin der SGB-Frauenkommission.