Skandal in der zweiten Säule: Broker kassieren jährlich Hunderte Millionen Franken mit versteckten Provisionen.
PARASITEN: Viele Kassen zahlen den Brokern üppige Provisionen dafür, dass sie ihnen Kunden vermitteln. Die Folge sind tiefere Renten für die Versicherten. (Grafik: TNT)
Sie leben wie die Maden im Speck. Und kassieren sogar noch fürs Nichtstun. Leidtragende sind die Arbeitnehmenden. Denn erstens merken diese nichts. Und zweitens hätten sie ohne Abzockerei höhere Renten im Alter. Urban Hodel, Rentenfachmann der Gewerkschaften, sagt: «Wir müssen den Missstand bei den Brokern abstellen. Und zwar dringend!»
«Die Provisionen müssen gestoppt werden.»
SO FUNKTIONIERT DER BSCHISS
Nehmen wir als Beispiel Chef Karl Möckli. Er hat eine Schreinerei mit 25 Angestellten. Diese Leute muss er in der zweiten Säule versichern, weil das obligatorisch ist. Da ihm aber der Kopf brummt, wenn er schon nur ans komplizierte BVG denkt, kontaktiert er den Versicherungsvermittler Fritz Mischler. Der soll ihm für seine Angestellten den Anschluss an eine Pensionskasse organisieren. Mischler holt Offerten bei Kassen ein und empfiehlt eine Sammelstiftung. Möckli denkt: «Wird schon stimmen, alles paletti!» Schliesslich zahlen ja seine Mitarbeitenden die Prämien und nicht er.
Kann sein, dass die Angestellten jetzt gut versichert sind. Kann aber auch nicht sein. Denn im 850 Milliarden Franken schweren BVG-Business tummeln sich Banken, Versicherungen, Fonds und Finanzkonzerne. Ein Haifischbecken. Ihnen geht es um Umsatz und Profit, nicht um gute Renten. Broker und Vermittlerinnen spielen hier eine Schlüsselrolle. Viele Kassen zahlen ihnen üppige Provisionen dafür, dass sie Versicherte zu ihnen schleusen. «Die Leute werden herumgereicht wie auf einem Basar», sagt Urs Eicher. Als Präsident des gewerkschaftsnahen PK-Netzes kennt er die Szene und ihre Auswüchse bestens.
Laut Eicher zahlen bestimmte Kassen bis zu 1000 Franken Provision pro versicherte Person. Vermittelt ein Broker ein KMU, so schenkt das schnell ein. Vor allem, wenn noch sogenannte Courtagen fliessen. Das sind jährlich wiederkehrende Honorare. Bezahlt allein dafür, dass die Versicherten bei der Kasse bleiben. Also ein Honorar fürs Nichtstun. Solche Broker, die faktisch weder unabhängig noch neutral sind, profitieren von der notorischen Intransparenz im Markt. Ihre Vermittlungsprovisionen sind nämlich in den Prämien versteckt. Arbeitnehmende haben keine Ahnung, dass sie mit ihrem Lohnabzug für die zweite Säule womöglich noch Brokertaschen füllen. Angesichts ständig sinkender Renten ein doppelter Skandal.
MILLIARDENSCHADEN
Gemäss Berechnungen fliessen 300 Millionen Franken nur wegen Provisionen und Courtagen an die Broker ab. Jährlich. Eine enorme Summe. Doch Rentenfachmann Hodel sagt: «Das ist nur die Spitze des Eisbergs, nicht alle Vorsorgewerke legen ihre Zahlen wirklich offen.»
Der Milliardenschaden für die Arbeitnehmenden zeigt sich erst, wenn man die tieferen Renten als Folge dieser Geldabflüsse berücksichtigt. Insider wissen, dass just jene Vorsorgewerke die höchsten Provisionen zahlen, welche die schlechtesten Altersleistungen bieten. Urs Eicher sagt: «Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen teuren Kassen, schlechten Leistungen und hohen Provisionen.» Zwischen den Pensionskassen finde kein ehrlicher Wettbewerb mehr statt. Stattdessen gewinnen jene Vorsorgeeinrichtungen, die Broker mit fetten Provisionen ködern und die meist mit Versicherungen verbandelt sind. Diese machen einer Firma nicht das beste BVG-Angebot für die Angestellten, sondern legen der Firma jene Offerte vor, von der sie selber am meisten profitieren. Klar, dass derartige Deals die Verwaltungskosten der zweiten Säule in die Höhe treiben. Zum Schaden der Versicherten.
Die Arbeitnehmenden zahlen ungewollt die Broker-Provisionen mit.
SAUBERE KASSEN
Fortschrittliche Pensionskassen, wo Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften mitreden, machen dieses Spiel schon länger nicht mehr mit. Ihr Nachteil: Diese sauberen Kassen werden von Brokern kaum mehr um Offerten angefragt, weil es da wenig zu holen gibt. Das profitorientierte Finanzkartell dreht ohne sie. Ein Rezept gegen das Dracula-ähnliche Parasitentum im BVG-Business ist dringlich. Rund 2,3 Millionen Arbeitnehmende könnten dann ruhiger schlafen. Denn sie sind an Sammelstiftungen und Versicherungskonzerne angeschlossen. Nur knapp zwei Millionen sind noch in betriebseigenen Pensionskassen versichert, wo paritätische Verwaltungen kontrollieren und das Risiko von dubiosen Deals im Hintergrund klein ist. Für Rentenfachmann Hodel ist klar: «Die Provisionen müssen gestoppt werden.» Ein Broker soll nur noch vom Auftraggeber für seine Arbeit nach Aufwand bezahlt werden. Aber nicht von einer Pensionskasse. In Skandinavien ist das so geregelt. In der Schweiz hat die mächtige Finanzlobby eine Lösung bislang verhindert (siehe Box).
Verbot: Broker liefen Sturm
Bereits 2007 wollte eine Expertenkommission des Bundes dem Unwesen mit den Broker-Entschädigungen einen Riegel schieben. Provisionen von Pensionskassen an Vermittlerinnen und Vermittler sollten künftig verboten werden, da sie nur Interessenkonflikte produzierten und unnötige Kosten verursachten. Doch die Branche lief dagegen Sturm und verhinderte ein Verbot.
GUTE CHANCEN. Heute stehen die Chancen besser dank dem Engagement des gewerkschaftsnahen PK-Netzes 2. Säule. Dieses arbeitet an einer Allianz für ein Verbot solcher Provisionen. Auch der Pensionskassenverband ASIP ist mittlerweile für ein solches Verbot: Broker müssten nach Aufwand von den Firmen als Auftraggeber entschädigt werden. Nur so seien die Interessen der Versicherten gewahrt. Um das durchzusetzen, muss eine Bestimmung im BVG und im Versicherungsgesetz angepasst werden.
BVG – Ein Lehrstück wie die Finanzlobby mit Hilfe einer Mehrheit von „korrupten“ Politiker die Arbeitnehmer über den Tisch zieht. Äähh – korrupte Politiker gibt es in der Schweiz nicht, die heissen irgendwie anders.