Stur wie eine Eselin
Die Wahrheit ist ja bekanntlich ein stark umworbenes, kostbares Gut. Und sieht je nach Blickwinkel sehr unterschiedlich aus.
Sind die gelben Westen rot oder braun? Eine Frage, die umtreibt. Sind die Gilets jaunes bloss ein randalierender Haufen autoverrückter Wutbürgerinnen und -bürger? In den Fussstapfen der rechtsextremen Marine Le Pen? Oder sind sie eine soziale Bewegung gegen Macrons forcierte neoliberale Politik? Gegen seinen Sozialsadismus? Der «Präsident der Superreichen» kann es nicht lassen, die kleinen Leute als arbeitsscheu zu beschimpfen. Sind die Gilets jaunes also ein Aufstand gegen Macrons Klassenhass? Eindeutig, schreibt Frankreich-Spezialist Oliver Fahrni im grossen work-Dossier. Eine soziale Revolte, die sich zudem rasant politisiere: «Was mit einem Blog gegen die Dieselsteuer begann, wurde in wenigen Wochen zur Forderung nach mehr Kaufkraft, dann zur Kritik an der Ungleichheit in der Gesellschaft.» Immer lauter fordern die Gilets jaunes inzwischen neue Volksrechte.
Die Gilets jaunes sind eine soziale
Revolte.
UNTER DRUCK. Sie sind um die 45, mehrheitlich Arbeiterinnen und Arbeiter, Angestellte, Kleingewerbler. Ihre ökonomische Situation hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert. Ihre Löhne und Jobs sind unter Druck. Umfragen zeigen: Die Gilets jaunes fühlen eher links, wählen tendenziell aber rechts. Um den verhassten Macron los zu werden, würden sie Le Pen in Kauf nehmen. Seit er ihnen mit hemmungsloser Repression kommt, sowieso. Die Gelbwesten halten auch nichts von den Sozialisten. Macron-Vorgänger und Sozialist François Hollande war schliesslich selber Sozialabbauer – und Macron sein Wirtschaftsminister.
NICHTS VERSTANDEN. Auch in Italien blies Matteo Renzis Mitte-links-Regierung zwischen 2014 und 2016 zum Angriff auf die Sozialsysteme. Und auch in Italien sahen die Leute ihre Löhne und Renten schrumpfen. Sie fühlten sich in der Krise von links bis rechts verraten. Also gingen sie hin und wählten ganz rechts. Jetzt herrscht in Italien ein «aggressives, rassistisches» Klima. Das sagt die abtretende Chefin der grössten italienischen Gewerkschaft CGIL, Susanna Camusso, im work-Interview. Die Grande Dame der italienischen Gewerkschaften attackiert aber auch die einst so stolze italienische Linke: «Sie hat vieles nicht verstanden.» Etwa, was es heisse, den Job zu verlieren. Arbeitslos und verunsichert zu sein. In Italien und in Frankreich liegen die Sozis deshalb matt im Graben. Viele hoffen nun auf die Gewerkschaften. Sie möchten Rassist Matteo Salvini das Grossmaul stopfen. Und ihren Annäherungskurs an die Gilets jaunes beschleunigen.