Couragiert wehrten sie sich in ihrem Job für sich und für andere – und gewinnen jetzt den Prix Engagement der Unia. Wir gratulieren!
MUTIGE FRAUEN. Alexandra Lino (links) musste als Putzfrau im Luxushotel Marriott regelmässig elf, zwölf Stunden am Tag arbeiten, ohne Essenspause. Ilvia Dragoni (rechts) ist Hauspflegerin und hat sich mit ihren Kolleginnen zusammengeschlossen. (Fotos: Nico Zonvi und Matthias Luggen)
Für Alexandra Lino war rasch klar: «Wenn ich nichts mache, passiert nichts.» Und es musste etwas passieren. Denn die Zustände, welche die 46jährige Putzfrau im Zürcher Fünfsternhotel Marriott erlebte, waren «eine Katastrophe». Sie und ihre Kolleginnen hatten viel zu wenig Zeit, um die Zimmer gründlich zu reinigen. Mussten zum Beispiel aus Zeitnot die Gläser aus der Minibar und die WC-Bürste zusammen im gleichen Lavabo waschen, mit dem gleichen Putzlumpen. Arbeiteten regelmässig elf, zwölf Stunden am Tag ohne Essenspause. Und hatten ständig die Chefin im Nacken. Putzfrau Lino sagt: «Sie kam oft zu mir ins Zimmer und rief: Bist du fertig? Schnell, schnell! Du hast keine Zeit, mit der Kollegin zu sprechen!»
Also wehrte sie sich. Zuerst kontaktierte sie die Unia. Diese nahm das Problem auf, recherchierte weiter und machte im vergangenen Sommer mit einem Report die Zustände öffentlich (work berichtete). Der «Blick» schrieb über den «Ekel-Alarm in Schweizer Hotels», Alexandra Lino stand mit Foto hin. Marriott musste sich erklären.
Für ihren Mut und ihren Einsatz hat Lino jetzt von der Unia den diesjährigen Prix Engagement bekommen, zusammen mit drei anderen starken Frauen. Der Preis wird seit 2018 vom Dienstleistungssektor der Unia vergeben und zeichnet Mitglieder aus, die sich besonders für die Rechte der Arbeitnehmenden einsetzen. An der Preisverleihung in Bern sagte Unia-Präsidentin Vania Alleva: «Mit dem Preis wollen wir zeigen, dass es ganz viele gibt, die sich einsetzen – gerade auch im Dienstleistungssektor.» Dieser sei über weite Strecken nach wie vor eine «Gewerkschaftswüste», so die Unia-Chefin: «Es ist noch keine Selbstverständlichkeit zu kämpfen. Das wollen wir ändern.»
«Viele Mütter sehen ihre Kinder nur über Skype.»
GEGENSEITIGER HALT
Ausgezeichnet wurde auch Silvia Dragoi (62) – stellvertretend für das Kollektiv der Tessiner Hauspflegerinnen. Rund um die Uhr sind sie für betagte Privatpersonen verantwortlich und «immer in einem Haus eingesperrt», wie es die Rumänin formuliert, die derzeit eine 92jährige Frau mit Alzheimer betreut. Obwohl es schwierig ist, haben sich die Pflegerinnen im Tessin organisiert. Silvia Dragoi: «Zuerst waren wir nur eine kleine Gruppe.» Aber heute sind es 62 Personen, die sich in einer Whatsapp-Gruppe austauschen. Sie stellen auf Marktplätzen Stände auf, um ihren Beruf bekannt zu machen. Und sie treffen sich untereinander, um Geburtstage zu feiern oder Weihnachtslieder zu singen, wenn sie über die Festtage nicht heimkönnen.
Die meisten der Pflegerinnen sind über 50 Jahre alt. Ihre Familien haben sie im Herkunftsland zurückgelassen. Silvia Dragoi sagt: «Viele Mütter sehen ihre Kinder nur über Skype.» Eine Kollegin habe kürzlich ihren Sohn bei einem Arbeitsunfall in Rumänien verloren. Dragoi: «Wenn das Telefon klingelt, dann weisst du nie, was dich erwartet. Das ist unser Albtraum.» Jetzt geben sich die Frauen gegenseitig Halt und unterstützen sich, so gut es geht.
EIN ALBTRAUM
Noch etwas macht den Pflegerinnen das Leben schwer. Wenn die betreute Person stirbt, ist auch die Stelle weg. Pflegerin Dragoi sagt: «Unser Leben kann sich von einem Moment auf den anderen radikal ändern. Wir stehen dann auf der Strasse, ohne Arbeit und ohne Dach über dem Kopf.» Die Gruppe hat jetzt erreicht, dass Pro Senectute und Unia eine kleine Wohnung zur Verfügung stellen für Notfälle.
In Rumänien sei es normal, sich an eine Gewerkschaft zu wenden, sagt Dragoi. «So bin ich zur Unia gegangen, als ich in die Schweiz kam.» Und sie hat mit ihren Kolleginnen hier einiges erreicht, wie Giangiorgio Gargantini von der Unia Tessin sagt: «Als Kollektiv haben die Pflegerinnen die Gewerkschaft überzeugt, sich auf diesem Gebiet zu engagieren.» Jetzt wollen sie einen kantonalen Gesamtarbeitsvertrag. Gargantini: «Da sind wir mit Arbeitgebern und dem Kanton am Verhandeln.» Aber der Weg ist noch weit. Klar ist für den Unia-Mann: «Die Pflegerinnen sind mutige Frauen, und ihr Engagement soll mit diesem Preis gewürdigt werden.»
«Meine männlichen Kollegen gaben mit ihrem Lohn an. So habe ich gemerkt, dass ich weniger verdiene.»
20 PROZENT WENIGER LOHN
Es sind vier Frauen, die dieses Jahr den Prix Engagement der Unia erhalten. Das passt: 2019 ist das Jahr des Frauenstreiks. Eine der zentralen Forderungen ist Lohngleichheit. Und dafür kämpfen die Preisträgerinnen Françoise Robert * und Maria Tscharner * seit Jahren vor Gericht. Am Anfang stand eine ernüchternde Erkenntnis, wie Robert berichtet: «Meine männlichen Kollegen gaben mit ihrem Lohn von 5000 Franken an. So habe ich gemerkt, dass ich 20 Prozent weniger verdiene.» Nämlich nur 4000 Franken. Dabei ist sie erst noch besser qualifiziert: Sie hat einen Lehrabschluss, die Männer nicht.
Françoise Robert arbeitete als Näherin bei der Luxus-Ladenkette Grieder. Mehrfach fordert sie den gleichen Lohn wie die Männer, bekommt ihn aber nicht. Stattdessen wird sie 2012 entlassen. Nur wenige Tage danach klagt sie gegen Grieder und verlangt rückwirkend die Lohndifferenz. Das war 2012. Das Gerichtsverfahren läuft noch immer. Stunden und Tage hat die 57jährige bereits im Gerichtssaal verbracht. Immer wieder neue Streitpunkte habe Grieder hinzugefügt, um das Verfahren hinauszuzögern, «Unterdessen sind es mehr als tausend, unglaublich.»
Doch sie lässt nicht locker. Und hat jetzt eine Mitstreiterin: Die 56jährige Maria Tscharner arbeitet noch immer als Näherin bei Grieder, für 4083 Franken im Monat. Auch sie hat eine Lohnklage eingereicht – aber bevor Grieder sie entlassen konnte, anders als Robert. Deshalb geniesst Tscharner jetzt Kündigungsschutz, solange das Verfahren läuft. Aber für sie ist klar: «Sobald die Sache entschieden ist, werden sie mich bestimmt entlassen.»
Immerhin gibt jetzt ein neutrales Gutachten den beiden recht: Bei Grieder besteht eine Lohndifferenz von 24 bis 33 Prozent. Die Experten vertreten die Meinung: Die beiden Schneiderinnen sollten nicht nur gleich viel verdienen wie ihre Kollegen, sondern sogar mehr, weil sie besser qualifiziert sind. Einen aussergerichtlichen Vergleich mit Grieder lehnten Tscharner und Robert ab. Sie wollen ein Gerichtsurteil, das die Firma klar schuldig spricht. Es geht ihnen nicht nur um Lohn, sondern auch um Respekt.
work gratuliert den vier couragierten Frauen und hofft auf viele Nachahmerinnen.
* Namen geändert