Mit brachialen Methoden versucht Emmanuel Macron, eine XXL-Deregulierung des Arbeitsmarktes durchzusetzen. Und brüskiert alle.
Auf die Barrikaden: Die französischen Gewerkschaften und Linksparteien rufen im September zu Streiks und Protesten auf – gegen den «sozialen Staatsstreich» ihres Präsidenten. (Foto: Martin Bureau)
Zu Hause, in Paris, rief Arbeitsministerin Muriel Pénicaud die Gewerkschaften gerade zur letzten Runde ins Ministerium. Zu «Konsultationen» über die Totalrevision des Arbeitsgesetzes. Die Stimmung war angespannt, denn die Regierung plant einen Kahlschlag. Da sagte Pénicauds Chef, Emmanuel Macron, während er auf Staatsbesuch im fernen Rumänien weilte, Frankreich sei «ein Land, das man nicht reformieren kann, weil die Franzosen Reformen hassen». Prompt gab Philippe Martinez vom grossen Gewerkschaftsbund CGT zurück: «Wieder einmal hält Herr Macron die Franzosen für Dummköpfe, die zu blöd sind, seine Reformen zu verstehen. Es ist doch einfach so, dass die Franzosen schlechte Reformen ablehnen.»
SOZIALER STAATSSTREICH
In nur zehn Jahren, so haben Martinez’ Gewerkschaftsjuristen aufgezeichnet, wurde das französische Arbeitsrecht 160 Mal geändert. Meistens, weil die Arbeitgeber neue Ausnahmen und Arrangements verlangten. So gilt zwar noch die gesetzliche 35-Stunden-Woche, aber real arbeiten die Französinnen und Franzosen längst mehr als 40 Stunden.
Mag sein, Macron wollte mit dem Satz den Druck auf die Gewerkschaften noch einmal erhöhen. Er verlangt nichts weniger als ihren öffentlichen Selbstmord: Sie sollen nicht nur die Deregulierung der Arbeitsverträge akzeptieren, sondern auch die Regel, dass Firmenchefs künftig Verträge ohne und gegen die Personalvertretungen und Gewerkschaften dekretieren können.
Doch aus Macrons Attacke sprach vor allem der Frust darüber, dass er, der frisch gekürte Star unter Europas Staatschefs, schon vor einem heissen Herbst steht. 2016 hatte die letzte Reform des Arbeitsrechts monatelange Demonstrationen ausgelöst. Macron war damals Wirtschaftsminister. Danach sagte er, mit dem Umbau des Arbeitsrechts wäre er «gerne weiter gegangen ». Gegen seine XXL-Deregulierung der Arbeit rufen jetzt die CGT und andere Gewerkschaften zu Streik und Protest am 12. September auf. Und am 23. September will die stärkste Kraft der Linken, die «Insoumis » (die «Freien»), das «Volk» zum Aufstand gegen den «sozialen Staatsstreich Macrons » bewegen, wie Jean-Luc Mélenchon sagt, der Kopf der Bewegung.
INSZENIERTE NÖTIGUNG
Dabei hatte der Präsident, der sich selbst als «Jupiter» (der Gott der Götter der alten Römer) bezeichnet, diesmal alles getan, um jede öffentliche Debatte im Keim zu ersticken. Vom Parlament, in dem seine straff geführte Partei EM die absolute Mehrheit hat, liess er sich die Blankovollmacht geben, das neue Arbeitsgesetz per Dekret einzuführen. Und zwar, ohne dass jemand den Inhalt gekannt hätte. Demokratie wurde da nur noch simuliert.
Auf dieselbe Weise verfuhr Macron mit den Gewerkschaften. In Einzelabfertigung rief er sie zu sieben Runden «Verhandlungen» über ein Gesetz, dessen Text die Vertreter der Arbeitenden nie zu Gesicht bekamen. Beziehungsweise nur Bruchstücke davon, manche ein bisschen mehr, etwa der sozialliberale Gewerkschaftsbund CFDT, andere, wie die kritische CGT, nicht einmal 30 von 200 Seiten. Ausgehändigt erhielten sie nichts, Notizen durften sie keine machen. Medien, die geheime Entwürfe enthüllten, liess der Präsident mit Klagen eindecken. Im internen Rapport der CGT zur letzten Sitzung vom 23. August lesen wir: «Wieder kein Dokument. Doch der rote Faden ist klar: Flexibilisierung, Prekarisierung, schrumpfende Löhne, schrumpfende soziale Sicherheit und schrumpfende Gewerkschaftsrechte.» Sogar die gemässigte Kadergewerkschaft CFE-CGC konstatiert: «Die Karten waren von Anfang an gezinkt.» Ein Delegierter des Gewerkschaftsbundes FO nennt das Vorgehen «eine gut inszenierte Nötigung». Gut inszeniert, weil es Macron gelang, die Gewerkschaften zu spalten. Nicht an die Konsultation zu gehen war keine Option. Die FO, die 2016 noch an vorderster Front gegen das Arbeitsgesetz gekämpft hatte, liess sich weit auf Macrons Strategie ein. FO-Generalsekretär Jean-Claude Mailly hoffte bis zuletzt, auf die Dekrete Einfluss nehmen zu können.
Am 31. August (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) macht der eilige und eitle Macron – die Dienste seiner Visagistin für die ersten drei Monate Amtszeit summieren sich auf 26 000 Euro (knapp 30 000 Franken) – seine Präsidentenbefehle publik. Sie treten sofort in Kraft. Fallen sie harsch aus, könnte er sehr schnell die Kontrolle über das Land verlieren.
Macron im freien Fall
Die Umfragewerte von Emmanuel Macron fallen ungebremst, obschon ihm keine Konkurrenten den Platz streitig machen: Die Rechte ist in Minifraktionen zerfallen, der Front national tut keinen Mucks, und die Sozialisten lahmen. Macron hat mit seiner hart neoliberalen Politik für die Reichen einen explosiven Herbst angemischt.
STREICHKONZERT. Mit den Gewerkschaften könnte der gesamte öffentliche Dienst streiken, weil er dort 200 000 Stellen abbauen will. Die Rentnerinnen und Rentner sind im Aufruhr, weil Macron sie besteuert, um die Milliarden-Steuergeschenke für die obersten Einkommen zu finanzieren. Die Studierenden, Mieterinnen und Mieter sind wütend, weil er ihre Mietzuschüsse zusammengestrichen hat. Die Bürgermeister, die Lehrerinnen, das Spitalpersonal, die Sozialverbände reklamieren, weil er den Gemeinden 20 Milliarden Euro entzogen und Ende Juli über Nacht Zentausende von staatlich finanzierten Integrationsjobs gekippt hat.