Andreas Rieger
Überall in Europa wagen die Leute Arbeitskämpfe: in Spanien bei der Post; in Ungarn in der Audi-Fabrik; in Deutschland im Sicherheitsdienst der Flughäfen; in Belgien bei den Supermärkten Lidl und Carrefour und in Österreich im Gesundheits- und Sozialwesen. Das sind nur wenige Beispiele von vielen in den letzten zehn Monaten.
NEUE PROTESTFORMEN. Auffallend: Die Streiks finden mehrheitlich im Dienstleistungsbereich statt. Und immer mehr Frauen streiken. Einige Arbeitskämpfe waren eigentliche Frauenstreiks. So legten in Schottland letzten Oktober 8000 Frauen der Stadtverwaltung von Glasgow ihre Arbeit nieder. Es war der Höhepunkt eines zwölfjährigen Protests gegen Lohndiskriminierung. Und in Irland stehen derzeit 40 000 Pflegefachfrauen und Hebammen auf. Bereits an drei Tagen garantierten sie nur noch den Notfalldienst. Die Frauen fordern eine Aufwertung ihrer Berufe in den Lohnklassen des irischen Gesundheitswesens. Um gerecht zu sein, müsste ihr Lohn um zwölf Prozent rauf.
Immer mehr Frauen streiken,
mit Erfolg!
Ein seit längerem neues Phänomen sind auch länderübergreifende Streiks: Bei Amazon mobilisierten sich schon mehrmals Angestellte der Verteilzentren in Deutschland, Italien, Spanien und Grossbritannien. Letztmals am «Black Friday» im letzten November. Bei der Dumpingfluggesellschaft Ryanair waren sechs Länder involviert, als das Personal Ende 2017 mit Streiks im Weihnachtsreiseverkehr drohte. Ryanair versprach darauf Verhandlungen. Doch erst die koordinierten Streikwellen im letzten Sommer und nochmals im September zwangen die Billigfirma ernsthaft an den Verhandlungstisch.
O’LEARY KNICKT EIN. Und siehe da, der neue Mut wird belohnt: Die Frauen in Glasgow bekommen insgesamt Hunderte Millionen Franken zusätzlich. Bei Audi in Ungarn holten die Streikenden 18 Prozent mehr Lohn raus. Die spanischen Postangestellten erreichten eine Lohnerhöhung von 11 Prozent und 12’000 zusätzliche Festanstellungen – der Anteil an Temporärstellen wird von 30 auf 8 Prozent gesenkt. Amazon musste schon mal in Italien nachgeben und sich auf eine Kollektivvereinbarung mit den Gewerkschaften einlassen. Beugen musste sich auch Michael O’Leary, der mächtige Chef von Ryanair. Noch 2017 hatte er geblufft: «Gewerkschaften sind ein Mob, dessen Tage längst gezählt sind.» Jetzt geht er Kollektivvereinbarungen in mehreren Ländern ein – und hat den gefürchteten «Mob» im Haus.
Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschaftsbewegung aktiv.