Der orange Riese lagert seine Degustations-Mitarbeitenden aus. Jetzt bangen sie um ihre Existenz. Und müssen sich erst noch beleidigen lassen.
FRECH: Mit den neuen Arbeitsbedingungen fahren Migros-Promoterinnen massiv schlechter. (Foto: Migros)
Schokolade, Käse, Waschpulver: Woche für Woche stand Andrea Jost * in der Migros-Filiale, verteilte Gratismuster und Versucherli und zeigte der Kundschaft die neuen Produkte. Immer Donnerstags bis Samstags. «Promoterin» heisst ihr Beruf. Die temperamentvolle Ostschweizerin macht ihn seit bald 30 Jahren und liebt ihn. Besser gesagt, sie hat ihn geliebt: «Die Migros hat mir die Freude daran gründlich verdorben.»
Im letzten November bekamen die über 200 Promoterinnen und Promoter Post von ihrer Arbeitgeberin, der Migros-Tochter Chocolat Frey: Sie würden per Ende Jahr in eine neue Firma namens TMI ausgelagert. Die bisherigen Manager hätten Chocolat Frey die Mehrheit am Geschäftsbereich abgekauft – und würden ihn nun selber weiterführen. Und: Die neue Firma sei nicht mehr dem Migros-Gesamtarbeitsvertrag unterstellt. Aber die Arbeitsbedingungen würden sich nicht ändern: Es gebe auch «keine Lohnreduktion».
VERSPRECHEN GEBROCHEN
Zwei Monate später schickt die Firma die neuen Arbeitsverträge, die ab Mai gelten sollen. Sie sind Dumping pur: Der Stundenlohn von Promoterin Jost, bisher bei gut 32 Franken pro Stunde (Ferienentschädigung und 13. Monatslohn eingerechnet), soll neu auf knapp 28.50 sinken. Das macht minus 3 Franken 50 oder mehr als 10 Prozent Lohn weniger. Und anstatt des bisherigen Arbeitspensums von 60 Prozent steht im Vertrag nur noch: «Arbeit auf Abruf». Das hat kürzlich der «Kassensturz» von SRF aufgedeckt (siehe unten: «Die Migros reagiert – ein bisschen»).
Das heisst: Die neue Firma TMI setzt die Arbeiterinnen und Arbeiter dann ein, wenn es gerade passt. Ein Einsatzplan, der work vorliegt, sieht für die meisten Mitarbeitenden im laufenden Jahr nur gerade in 17 von 52 Wochen einen Einsatz vor. Von Ende Juni bis Ende August sind gar keine Einsätze geplant, und auch im Januar war Flaute: Die Promoterinnen Martina Barben * und Carla Degen * sagen beide, sie hätten im Januar nur gerade einen Einsatz von drei Arbeitstagen gehabt. Das ergibt einen Monatsverdienst von 790 Franken brutto.
«Mir haben sie am Telefon
gesagt: ‹Frau Bianchi, Sie
sind zu alt!›.»
HÖCHSTENS KLEIDERGRÖSSE 38
Kein Wunder, plagen die Frauen Zukunftsängste. Andrea Jost hat jetzt Schlafprobleme: «Es geht um meine Existenz.» Und Kollegin Regula Frei * musste sich krank schreiben lassen. Einfach nur traurig sei das, sagt sie. Sie habe das ganze Leben gearbeitet, «und jetzt bin ich beim Arzt gelandet».
Mehrere Promoterinnen haben bei den Chefs nachgefragt, warum sie so wenig Arbeit bekämen. So auch Andrea Jost: «Ich bekam die Antwort, für die geplante Kaffee-Promotion würde ich nicht mehr den Anforderungen des Kunden entsprechen.» Gemeint war der Hersteller des Promotions-Produkts. Im Gespräch mit anderen Frauen wird klar, was gemeint ist. Sandra Bianchi * berichtet: «Mir haben sie am Telefon geradeheraus gesagt: ‹Frau Bianchi, sie sind zu alt!›.» Und Barbara Kunz * berichtet, für gewisse Produkte frage man die Frauen zuerst nach der Kleidergrösse: «Höchstens Grösse 38 darf man sein. Das ist unter aller Würde!»
Kommt hinzu: Organisatorisch läuft in der Firma einiges schief, wie mehrere Promoterinnen berichten. Als die eine an einem Freitag in der Filiale ankommt und ihren Stand aufbauen will, sagen ihr die Kollegen im Laden, der Stand sei gerade abtransportiert worden. Und plötzlich erhält die krank geschriebene Regula Frei einen Anruf, wieso sie nicht in der Filiale soundso sei, sie sei dort heute eingeteilt. Eine weitere Promoterin hat bisher weder einen Anruf noch einen Brief noch einen neuen Arbeitsvertrag erhalten: «Mich haben sie vergessen», sagt diese leicht amüsiert.
Dumping-Verträge: Die Migros reagiert – ein bisschen
KEIN AUSWEG: Die Migros hebt die Dumping-Löhne nicht auf, sie verschiebt sie nur. (Foto: Keystone)
Nachdem die Sendung «Kassensturz» auf SRF über die Dumping-Verträge der Migros berichtet hat, versuchten sich TMI und Migros in Schadensbegrenzung: Im laufenden Jahr sollen die Promoterinnen und Promoter den gleichen Lohn erhalten wie 2018, versprechen sie jetzt.
Doch ab 2020 sollen dann doch die neuen Verträge gelten. Das heisst: Das Dumping ist nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Die Migros schreibt, die neuen Löhne und Sozialleistungen lägen «über dem Branchenschnitt». Man sei sich bewusst, dass für die Mitarbeitenden eine «unbefriedigende Situation» entstanden sei. Schuld sei «die tiefere Ausgangslage». Man arbeite «mit Hochdruck» daran, diese zu verbessern. Zur Diskriminierung aufgrund des Alters und der Kleidergrösse schreibt die Migros: «Wir haben keine Kenntnisse von solchen Vorfällen. Wir werden dem umgehend nachgehen.» Die TMI hat auf die Anfrage von work nicht reagiert.
DUBIOS. Im November kündigte die Migros an, dass die Mitarbeitenden von der Migros-Pensionskasse mit Leistungsprimat in eine Sammelstiftung namens Gemini verschoben würden. Dort herrscht das Beitragsprimat. Das heisst, die Leistungen von Gemini sind nicht garantiert. Wenn die Kasse die Zinssätze senkt, sinken die Renten. In der Vergangenheit fiel die Gemini durch dubiose Geschäfte auf (siehe «Das grosse Pensionskassen-Roulette»).
Kommt dazu: In der Gemini ist nur der Lohnanteil über 21’330 Franken pro Jahr versichert. Viele Promoterinnen befürchten aber, dass ihr Jahresverdienst künftig tiefer sein wird. Das heisst, weder sie noch die Arbeitgeberin würden in die Pensionskasse einzahlen. Am Schluss drohen ihnen also tiefere Renten.
Ja, das sind unschöne Ereignisse. Deswegen muss man ja auch froh sein um jede und jeden, der Füdle hat, eine Firma gründet und FDP wählt. Dank Banken und trotz Gewerkschaften können so Arbeitsplätze entstehen.