Andreas Rieger
Sind Sie für oder gegen Europa? Eine beliebte, aber zu simple Frage von Medien und Meinungsbefragerinnen. Die Antwort erfolgt je nachdem, an welchen Teil der EU-Politik die Befragten gerade denken: an die Asylpolitik, die Sparpolitik oder den Studentenaustausch. In der EU bleiben oder raus aus der EU? Auch diese Frage ist beliebt. Aber es ist interessant: Seit dem Brexit-Desaster in Grossbritannien wollen immer weniger raus aus der EU, insbesondere die nationalistische, harte Rechte vieler Länder nicht mehr. In Italien etwa will der stellvertretende Ministerpräsident Mateo Salvini inzwischen sogar die Führung der EU übernehmen, um dort eine noch schärfere Abschottungspolitik gegen Muslime, Menschen aus Afrika usw. durchzusetzen.
Wollen wir ein marktliberales
oder soziales Europa?
GEFANGENE LINKE. Mehr oder weniger Europa? Noch so eine Entweder-oder-Frage. In ihr war vor allem die europäische Linke gefangen. Die einen fordern mehr Kompetenzen und ein starkes Budget für die EU. Andere wollen im Gegenteil Kompetenzen von Brüssel abzügeln – im Namen der nationalen Souveränität. Aber auch diese Fragestellung verdeckt bloss, worum es wirklich geht. Nämlich: Wollen wir ein marktliberales Europa oder ein soziales, nachhaltiges, demokratisches? Wenn die EU vor allem den schrankenlosen Binnenmarkt pusht und wenn sie wirtschaftliche Probleme mit Totsparen lösen möchte, dann sind immer mehr Leute EU-kritisch. Anders, wenn die EU die sozialen Rechte der Menschen aus- und das Sozialdumping abbaut. Wenn sie investiert in Umwelt und Arbeitsplätze. Und wenn sie dabei die Leute mitbestimmen lässt. Dann begreifen diese, dass eine starke EU auch ihnen nützt. Dann begreifen sie auch: Weder der Klimawandel kann national bekämpft werden, noch können wir Multis wie Google national zur Kasse bitten. Beides geht nur transnational.
GEMEINSAMER KAMPF. Für ein soziales Europa kämpfen heute die europäischen Gewerkschaften, zusammen mit anderen fortschrittlichen Kräften. So verlangt der Europäische Gewerkschaftsbund «ein gerechtes Europa für die Lohnabhängigen» und zeigt damit auch auf, wem es nützen soll. Diesem Kampf haben wir uns in der Schweiz angeschlossen. Wenn wir hier für den Schutz der Arbeitnehmerrechte kämpfen, dann ist das nicht gegen die EU. Wir sind vielmehr Teil desselben Kampfes.
Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschaftsbewegung aktiv.