Laut Umfragen stehen bei der Rentenreform kleine oder ländliche Kantone auf der Nein-Seite oder sind sogenannte Wackelkantone. Die Stimmenden dort sollten besser noch einmal über die Bücher.
Ausgleich unter den Regionen: Wirtschaftlich schwächere Kantone mit tiefem Lohn- und Rentenniveau profitieren überdurchschnittlich von einer Erhöhung der AHV-Rente. (Foto: Keystone)
Die AHV ist im genialen Umlageverfahren organisiert: Was an Beiträgen einbezahlt wird, fliesst ohne Umwege über das Finanzcasino direkt in die Renten. Und die AHV verteilt um – von denen mit den Abzockerlöhnen zu den Wenig- und Normalverdienenden.
Beides ist den Rechten und der Finanzindustrie seit der AHV-Einführung ein Dorn im Auge. Sie halten nichts von Solidarität, und sie wollen mit dem Alterskapital der Lohnabhängigen spekulieren und Provisionen einsacken.
REGIONAL
Was oft vergessen geht: die AHV glättet nicht nur die Lohndifferenzen ein bisschen, sie wirkt auch zwischen strukturstarken und strukturschwachen Regionen ausgleichend. Wie das? In wirtschaftlich schwächeren Regionen mit einem hohen Anteil an Kleingewerbe und Landwirtschaft ist die Lohnsumme niedriger. Entsprechend höher ist der Anteil von Menschen, die im Alter ausschliesslich oder grossmehrheitlich alleine von der AHV-Rente leben müssen. Steigt hier die AHV, fliessen die zusätzlichen Rentenfranken umgehend in den Konsum und stärken so die lokale Wirtschaft. Diese Regionen profitieren von der Rentenreform wirtschaftlich überdurchschnittlich.
RECHNEN
Die Abstimmungsumfrage des Forschungsinstituts GfS Bern sieht neben dem Aargau alle Innerschweizer Kantone und die beiden Appenzell im Nein-Lager. Unter den sogenannten Wackelkantonen sind unter anderem das Wallis und das Tessin. Das erstaunt. Schliesslich profitiert die Mehrheit der Nein- und Wackelkantone von der Reform überdurchschnittlich. Denn obwohl die Lohnsummen in den urbanen Gebieten zum Teil massiv höher sind, unterscheiden sich die Durchschnittsrenten von Kanton zu Kanton nur bescheiden.
REAKTIONÄR
Weil die Rentenreform nur in Kraft treten kann, wenn beide Vorlagen (die eigentliche Gesetzesreform und die Verfassungsänderung zur Anpassung der Mehrwertsteuer) angenommen werden, reicht eine Volksmehrheit nicht. Es braucht auch die Mehrheit der Kantone für die Verfassungsänderung.
Dieses sogenannte Ständemehr war schon mehrmals der Tod sozialpolitisch fortschrittlicher Vorlagen. So sagten 2013 zum Beispiel 54,3 Prozent des Volkes Ja zum Familienartikel, doch 11 Kantone und 4 Halbkantone Nein. Gegen diese Vorlage – sie wollte die Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbstätigkeit verbessern – kämpften SVP und FDP wie jetzt gegen die Rentenreform Seite an Seite. Das Ständemehr – 1848 eingeführt, um die konservativen Kräfte vom Bundesstaat zu überzeugen – wirkt, wenn es greift, tendenziell reaktionär. Denn die konservativen und rechten Stimmen aus Klein- und Halbkantonen wiegen ein Mehrfaches an urbanen und fortschrittlichen Stimmen auf. Beispiel: Die Meinung eines Appenzell-Innerrhödlers zählt in der Ausmarchung des Ständemehrs 44 Mal mehr als jene einer Zürcherin.