Andreas Rieger
Soziale Reformen dank der EU? Das hat’s seit einem Jahrzehnt nicht mehr gegeben. Im Gegenteil, die EU förderte den Sozialabbau. Jetzt bringt das Europäische Parlament kurz vor Torschluss noch eine ganze Serie von Verbesserungen durch – im Mai sind Wahlen. Jean-Claude Juncker, der Präsident der EU-Kommission, hatte im Herbst 2017 Absichtserklärungen für eine ganze «Säule sozialer Rechte» gemacht. Die Gewerkschaften waren skeptisch, ob er auch Ernst machen würde. Sie machten Druck. Jetzt gibt es tatsächlich neue Rechte.
Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben: Verlängerung des bezahlten Mutterschaftsurlaubs auf 4 Monate. Einführung eines bezahlten Vaterschaftsurlaubs von mindestens 10 Tagen. Recht von Arbeitnehmenden mit Kindern unter 8 Jahren auf Arbeitszeiten, die in ihrem Sinne flexibel sind. Einführung eines Pflegeurlaubs von bis zu 5 Tagen pro Jahr. Diese und weitere Rechte sind zwar für sozial fortschrittliche Länder bescheiden, für andere gehen sie aber klar über das Bestehende hinaus. Auch für die Schweiz.
Arbeitsvertrag: Neu müssen alle Arbeitnehmenden, die über drei Stunden in der Woche erwerbstätig sind, einen schriftlichen Arbeitsvertrag bekommen. Dieser muss Lohn und Arbeitszeit festhalten. Die Probezeit wird begrenzt. Kurzfristige Absagen von Arbeitseinsätzen müssen entschädigt werden. Nach 6 Monaten können Arbeitnehmende eine festere Anstellung beantragen. Diese Bestimmungen sind minimal, aber nach Jahrzehnten der Deregulierung mehr als nichts. Die europäischen Arbeitgeberorganisationen waren denn auch klar dagegen. Die Vorlage sei «ein Bürokratiemonster», und die Juncker-Kommission habe «den Bogen überspannt». «Millionen Arbeitsverhältnisse» müssten neu geregelt werden, riefen sie aus. Für einmal vergeblich.
Weiter beschloss das Parlament: Stärkeren Schutz für Whistleblower. Schaffung einer europäischen Arbeitsbehörde für die verbesserte Kontrolle grenzüberschreitender Arbeit. Unsicher ist, ob auch der verbesserte Sozialversicherungsschutz für innereuropäische Migration mal noch kommt.
All das ist zwar noch keine soziale Wende der EU, aber immerhin eine kleine Kurve in die richtige Richtung.
Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschaftsbewegung aktiv.