Lohndumping: Unia-Frau Christa Suter brachte den grössten Fall ins Rollen
Sie stoppte Goger

Es ist der grösste Fall von Lohndumping in der Schweiz. Und er flog nur auf, weil Unia-Frau Christa Suter alles gab.

Langer Atem: Unia-Frau Christa Suter spricht im Oktober 2013 zu Goger-Swiss-Mitarbeitenden. Nach fünf Jahren fahndet nun endlich auch die Polizei nach dem Unternehmer Kurt Goger. (Fotos: Keystone)

Christa Suter (62) freut sich: «Endlich haben auch die Behörden gemerkt, dass Kurt Goger seine Arbeiter systematisch geprellt hat.» Gleichzeitig ist sie aber auch «stinkwütend», wie sie sagt. Denn Goger konnte sich jahrelang hinter Paragraphen verstecken, weil er bereit war, viel Geld für Anwälte auszugeben. Während die Betroffenen bis heute auf ihr hart verdientes Geld warten. Es ist der grösste Fall von Lohndumping, der in der Schweiz je aufgeflogen ist: Um mindestens 6 Millionen Franken soll die Gipserfirma Goger-Swiss ihre Arbeiter und die Allgemeinheit gebracht haben (siehe Text unten). Christa Suter brachte den Skandal ins Rollen.

Hellhörig wurde sie 2013, als sie auf einer Baustelle ungarische Arbeiter antraf. «Ungarn gab es vorher nie», erinnert sie sich. «Wir wussten zuerst gar nicht, welche Sprache sie redeten.» Auffällig war auch: Die Arbeiter machten einen total verarmten Eindruck. «Sie trugen zerschlissene Kleider, und viele hatten Zahnlücken.» Beim ersten Kontakt ging es keine 15 Minuten, bis ein Kadermitarbeiter der Firma Goger-Swiss auftauchte und dem Unia-Team erklärte, wie gut die Firma zu den Arbeitern schaue. Gleichzeitig hatten die Arbeiter einen eingeschüchterten Eindruck gemacht. «All das war mir suspekt», sagt Suter, die 20 Jahre Er­fahrung als Gewerkschaftssekretärin hat (siehe Box unten).

Lohndumping mit System muss ein Straftatbestand werden.

DAS SYSTEM GOGER

Suter sorgte dafür, dass die Unia eine Frau einstellte, die Ungarisch sprach. Und machte sich dann systematisch auf die Suche nach Goger-Arbeitern. Das war nicht schwer: Die Goger-Swiss AG ­expandierte in diesen Jahren stark und wurde zu einer der grössten Gipserfirmen auf dem Platz ­Zürich. Besonders bei Prestigebauten bekam Goger den Zuschlag: Fifa-Museum, Luxushotel Atlantis, Kunsthochschule.

Auf diesen Grossbaustellen waren jeweils 20 oder 30 ungarische Gipser tätig. Zu denen nahmen Suter und ihre Kollegen Kontakt auf. Suter: «Allerdings sind wir nicht hingegangen und haben gesagt: Hoi, wir sind von der Unia, was ist dein Lohn? So hätten wir nie etwas erfahren.»

Suter fragte die Arbeiter, was sie da machten, wo sie herkämen, ob es dort schön sei, wie ihnen die Schweiz gefalle. In der Regel ging Suter in Zivil hin. Das hatte seinen Grund: Auf einer Baustelle gibt es immer Aufpasser. «Auch Goger hatte seine Spione», sagt Suter. Mit der Zeit hat sie gelernt, sie zu erkennen. Wenn etwa plötzlich alle Arbeiter verstummen und nur noch einen sprechen lassen, sei das ein untrügliches Zeichen. Dann gab Suter einem der Arbeiter ihre Nummer und sagte: «Ruf mich doch am Feierabend an, ich möchte noch mehr wissen von deinem Heimatdorf.» Und so erfuhr sie von Gogers Bschiss-System: Auf den Lohnabrechnungen war zwar alles korrekt, aber die Büezer mussten Goger einen Teil ihres Lohnes wieder zurückzahlen. Vom GAV-üb­lichen Stundenlohn von 26.50 Franken blieben ihnen so nur rund 13 Franken. Am Anfang hatte Suter Mühe, den Arbeitern begreiflich zu machen, dass sie geprellt würden. Suter: «Hässig wurden die Ungaren aber, als sie merkten, dass sie schlechtergestellt waren als die Polen.» Denn diese bekamen ein Firmenauto und mussten vor allem nicht einen Teil des Lohns zurück­zahlen.

Die Arbeiter trugen zerschlissene
Kleider, und viele hatten Zahnlücken.

RAFFINIERTER BSCHISS

Ab März 2015 machte die Unia mit Aktionen und Pressekonferenzen auf das System Goger aufmerksam. Auch der «Blick» schrieb mehrmals über den skandalösen «Ösi-Gipser». Doch Goger schlug mit voller Härte zurück: Nicht nur reichte er zahlreiche Straf- und Zivilklagen ein, er entliess auch rund 20 ungarische und zwei polnische Arbeiter, die sich gewehrt hatten. Damit verbunden war auch der Rausschmiss aus der Wohnung, die ihnen Goger vermietet hatte – und die meisten Arbeiter reisten in die Heimat zurück. Gogers Kalkül: Wenn sich in der Schweiz niemand mehr wehrt, wird die Sache im Sand verlaufen.

Tatsächlich hatte Christa Suter jetzt ein Pro­blem: Sie hatte keine schriftlichen Belege für den Goger-Bschiss, nur die Aussagen der Arbeiter. Aber sie gab nicht auf. Zusammen mit einer Kollegin reiste sie nach Budapest und trieb zwölf der Entlassenen auf. Alle unterzeichneten bei einem ungarischen Notar eine eidesstattliche Erklärung, in der sie den Bschiss bestätigten.

Es folgten Verhandlungen mit den Generalunternehmern, Verhandlungen vor Gericht, unzählige Besprechungen mit den Anwälten und so ­weiter. Suter schätzt, dass sie insgesamt ein Jahr Arbeitszeit nur für den ­Goger-Fall eingesetzt hat. Dazu kamen Anwaltskosten von meh­reren Hunderttausend Franken. «Ja, es brauchte einen langen Atem», sagt Christa Suter, «aber es hat sich gelohnt.» Allerdings vermittelt der Fall ebenfalls den Eindruck: Wenn jemand wirklich mit krimineller Energie das System der Lohnkontrollen sabotieren will, kann er das heute auch. «Ein Problem im System Goger war, dass auf dem Papier alles in Ordung war.» Und da die Kontrollstellen der Sozialpartner in der Regel nur die Lohnbücher anschauen, fliegt so ein raffinierter Bschiss nicht auf. Für Suter ist deshalb klar: «Künftig müssen die Kontrolleure auch die Arbeiter befragen und ihre Aussagen mit den Lohnbüchern abgleichen.»

Suter fordert zudem: Systematisches Lohn­dumping wie im Fall Goger muss ein Straftatbestand werden. «Die Ungarn sagten uns immer: Sorgt dafür, dass uns die Polizei befragt, wir sagen denen, was los ist.» Aber laut Schweizer Gesetz ist Lohndumping «nur» eine Verletzung des GAV. Und kein Delikt.

Christa Suter: 20 Jahre für die Gewerkschaft

«Ich war immer viel auf dem Terrain unterwegs», sagt Unia-Sekretärin Christa Suter. Jetzt geht sie in Pension. Vor zwanzig Jahren fing sie bei der GBI an und kämpfte ­gegen illegale Arbeits­zeiten in den Theatern, gegen Videoüberwachung des Personals bei Media-Markt, ­gegen 58-Stunden-Wochen beim ­Migros-Gemüsezulieferer Imhof.

ERFOLGE. Ab 2015 leitete sie die Fachstelle ­Risikoanalyse zur Lohndumping-Prävention. Da­neben stellte sie eine Zara-Baustelle an der ­Zürcher Bahnhofstrasse ein, erkämpfte 460’000 Franken für polnische Büezer am Hauptbahnhof oder 100’000 Franken für Plattenleger.


Der Fall Goger:  Es geht um 6 Millionen

Die Staatsanwaltschaft Zürich jagt Kurt Goger mit einem internationalen Haftbefehl. Der Grund: Verdacht auf Erpressung, Urkundenfälschung, unlauteren Wettbewerb, Lohn- und Mietwucher, Konkursdelikte, Betrug.

ÜBERSTUNDEN: In 13 Punkten hat die Goger-Swiss AG den Gesamt­arbeitsvertrag (GAV) des Gipsergewerbes verletzt. Das sagt ein neuer, unabhängiger Kontroll­bericht des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco): Die Firma des Öster­reichers Kurt Goger hat in gut drei Jahren ihren 261 Arbeiterinnen und Arbeitern rund 3,4 Millionen Franken für Überstunden nicht ausbezahlt. Goger lieferte dem ­Kontrolleur manipulierte Daten. Doch die Polizei fand bei einer Hausdurchsuchung Listen mit den tatsächlich ge­arbeiteten Stunden.

MIETWUCHER: In den Berechnungen des Kontrolleurs nicht berücksichtigt sind die völlig überrissenen Lohnabzüge. So zog die Firma den Arbeitern jeden Monat 600 Franken für die Unterkunft ab. Viel zu viel, wie ­Lorenz Keller von der Unia Zürich an einem Beispiel erläutert: «In einer 11-Zimmer-Liegenschaft waren 22 Arbeiterinnen und Arbeiter untergebracht. Das ergibt Lohn­abzüge von 13 200 Franken. Die Goger-Swiss hat aber für die Liegenschaft nur 3200 Franken Miete bezahlt.» Gewinn laut Keller: 1,1 Millionen.

Die Gipser mussten einen Teil ihres Lohns in bar zurück­zahlen.

ZURÜCKKASSIERT: Die ungarischen ­Gipser mussten einen Teil ihres Lohns in bar zurückzahlen. Das gibt Goger-Kadermann Zsolt B. zu, der seit letztem Dezember in Zürich in Haft sitzt. Er enthüllt das System Goger: Mit den ungarischen Gipsern wurde ein Stundenlohn zwischen 11 und 12 Euro abgemacht. Über­wiesen wurde ihnen aber ein ­höherer Lohn, damit die Firma bei Kontrollen nicht aufflog. Anschliessend zog Zsolt B. die Differenz bei den Gipsern wieder ein. B. bekam vom Goger-Büro jeweils eine Liste, wer wie viel zurückzahlen musste. Der Polizei sagt er: «Meistens habe ich das Geld direkt an Herrn Goger über­geben.» Insgesamt mindestens 1,2 Millionen Franken.

Unia-Mann Keller geht aufgrund aller bisher bekannten Fakten davon aus, dass die Firma Goger-Swiss mindestens 6 Millionen Franken auf dem Buckel der ­Gipser und der Allgemeinheit unrechtmässig kassiert hat. Denn auf den nicht bezahlten Löhnen wären zusätzlich Beiträge an AHV und Pensionskasse fällig ge­worden. Gegen Kurt Goger läuft ein Strafverfahren der Staatsanwaltschaft Zürich. Er wird nun per inter­nationalen Haftbefehl gesucht. In Italien verhaftete ihn die Polizei an einem Golfturnier und stellte ihn unter Hausarrest. Er flüchtete nach Österreich – und spielt dort weiterhin Golf, wie «WOZ» und SRF-«Rundschau» berichten. Daneben taucht er als Mitarbeiter der Investmentfirma Captura in Graz auf. Als Berater für Immobilien-Investments zur Altersvorsorge. Sein Leitspruch: «Früher an später denken.» Für ihn wie alle anderen gilt die Unschuldsvermutung.

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