Stur wie eine Eselin
Die Wahrheit ist ja bekanntlich ein stark umworbenes, kostbares Gut. Und sieht je nach Blickwinkel sehr unterschiedlich aus.
«Gell, es war so, dass man jetzt fast nicht mehr in den Alltag zurückfindet», sagte Geschichtsprofessorin Caroline Arni ein paar Tage nach dem Frauenstreik zu mir. Als ich sie fragte, ob sie für work den Frauenstreik analysieren könnte. Denn noch ist wenig darüber nachgedacht worden, was am 14. Juni 2019 eigentlich passiert ist. Wie war dieser gigantische Tag möglich? Und was bedeutet er?
Der Frauenstreik war ein revolutionärer Perspektivenwechsel.
PERSPEKTIVENWECHSEL. Arni dachte nach, und nicht nur sie: In diesem work ziehen drei feministische Forscherinnen aus drei Generationen Bilanz. Neben Arni (49) die Soziologieprofessorin Claudia Honegger (71) und die Genderforscherin Fleur Weibel (35). Als «einen Akt des zivilen Ungehorsams» wertet Honegger den Frauenstreik. Ein Akt, der zeige, «dass Öffentlichkeit herstellbar ist und gerade in diesen Zeiten der Fragmentierung in den sozialen Medien hergestellt werden kann und muss». Weibel ortet eine der Wurzeln dieses historischen Streiks in einem feministischen Bewusstseinsschub. Plötzlich wurde der Frauenstreik von 1991 Thema und wie lange es ging bis zum Frauenstimmrecht oder zur Mutterschaftsversicherung. Weibel: «Und vor allem auch viele junge Frauen sahen sich auf einmal als Teil der Frauengeschichte der Schweiz.»
Aha-Erlebnis und Initiationsritus also. Oder wie es Arni formuliert: «Für einen Moment haben sich sehr viele Frauen in der Schweiz zum politischen Subjekt erhoben. Sie haben sich angemasst, die Welt, in der sie leben, aus der Perspektive der Frauen anzuschauen.» Und alle anderen Perspektiven waren für einen Tag aus den Angeln gehoben.
ZAHLTAG. Kein Wunder findet Frau nach diesem revolutionären Perspektivenwechsel nicht mehr zurück in den Alltag. Aber halt! da sind ja noch all die Zeuginnen dieser einzigartigen Verführung: die Fotos vom 14. Juni. work präsentiert seine Lieblingsbilder (Seiten 10, 11) nicht nur, weil sie ein Augenschmaus sind. Sondern, weil sie das Gemeinsame in der Vielfalt zeigen. Weil es uns Frauen gelang, das Verbindende vor das Trennende zu stellen. Weil wir es uns wert waren. Denn schon zeigt der 14. Juni Wirkung:
Ja, liebe Schwestern, unser Kampfgeist muss anhalten, denn im Herbst ist Wahltag. Und hoffentlich für alle Machos und Machas im Bundeshaus auch Zahltag.
Ihre Klientel und Beitragszahler, das sind Göla, Trauffer und ein paar aus eher feminismusfernen Kulturkreisen Zugewanderte. Deren politische Positionen und Weltbilder dürften Ihnen bekannt sein. Ihre Leser sind diese Leute nicht. Für wen also schreiben Sie?