Gegen das Vergessen

Anne-Sophie Zbinden, stv. Chefredaktorin

Manche Fotos sind brutal konkret. Das von Napalm verletzte, nackte, schreiende Mädchen: die Verkörperung des grausamen Vietnamkrieges. Der kleine Junge im roten T-Shirt, der tot am Strand liegt: das unerträgliche Symbol für das Versagen Europas in der Flüchtlingskrise. Weisse Männer, die in herrischen Posen über halbnackten schwarzen Frauen stehen: verstörende Sinnbilder kolonialistischer Ausbeutung und der sexuellen Gewalt des weissen Mannes. Diese Bilder (S. 10, 11) zeigen uns, dass der Reichtum Europas auf Ausbeutung beruht. Besonders die Sklavenwirtschaft hat den europäischen Kapitalismus angetrieben, wie work-Autor Oliver Fahrni schreibt. Auch die Schweiz war daran beteiligt. So besass etwa der Staat Bern Aktien der britischen «South Sea Company», die Sklaven verkaufte. 1723 war der mächtigste Staat der Alten Eidgenossenschaft der mit Abstand grösste Aktionär dieser Gesellschaft, noch vor der «Bank of England» und König George I. Später profitierte der Schweizer Finanzplatz vom internationalen Ruf, der aus Geschäftsbeziehungen im kolonialen Kontext entstanden war. Darauf ist auch der Boom von Schweizer Banken in der weltweiten Ver­mögensverwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg zurückzuführen.

Die Sklavenwirtschaft hat den europäischen Kapitalismus angetrieben.

HINSCHAUEN. Und das düstere Erbe des Kolonialismus lebt weiter in den Orbáns oder Trumps dieser Welt. In Rassismus und Sexismus. In der Islamfeindlichkeit, welche die Glarners dieser Schweiz heraufbeschwören, und in den Salvinis, die Rassismus zum politischen Programm machen. Deshalb ist es wichtig und richtig, sich solche Bilder vor Augen zu führen, seien sie auch noch so verstörend. Damit wir die unbequeme Wahrheit nicht verdrängen. Damit wir die Deutung der Geschichte nicht anderen überlassen. Und weil es einfacher ist, gegen etwas zu kämpfen, das sichtbar ist. Denn die Ausbeutung geht weiter, mit Landraub, Kriegen und der Diktatur der Konzerne. Und sie macht auch beim Klima nicht Halt.

MASSLOS. Die Hauptlast der vom reichen Norden verursachten Klima­krise tragen die Menschen in den Ländern des Südens. Zu Recht fordert die Klimajugend deshalb Klima­gerechtigkeit. Und damit verbunden auch einen Systemwandel. Und genau ob dieser Forderung malen rechte Politikerinnen und Politiker bereits den «grünmaskierten roten Teufel» an die Wand. Es braucht einen Systemwandel, davon sind auch die Klima-Aktivistinnen Bea Keller und Monique Schumacher überzeugt. Deshalb blockierten sie am Zürcher Paradeplatz den Eingang der Credit Suisse. Aus Protest gegen die klimaschädigenden Investitionen der Grossbank. Die Zürcher Polizei reagierte, als wären sie Schwerverbrecherinnen, sagen sie im work-Interview (S. 5): mit Leibes­visitation «in allen Körperöffnungen», mit Einsperren im «Scharfen», mit allerlei Schikanen. Doch Keller und Schumacher lassen sich nicht einschüchtern.

1 Kommentare

  1. Peter Bitterli 16. August 2019 um 15:10 Uhr

    „Und das düstere Erbe des Kolonialismus lebt weiter in den Orbáns oder Trumps dieser Welt. In Rassismus und Sexismus. In der Islamfeindlichkeit, welche die Glarners dieser Schweiz heraufbeschwören, und in den Salvinis, die Rassismus zum politischen Programm machen.“
    Aber klar doch. Das „Erbe des Kolonialismus“ lebt zeitgeistig fort genau in den drei aktuell am meisten rumgeblasenen Totschlagworten und Ismen und in den vier Buhmannen, deren Namen bei Flachdenker*innen im Schwyzerländli offenbar gerade am meisten Hühnerhaut verursachen. Mit solch messerscharfen Analysen holt man natürlich Intellektuelle wie beitragszahlende „Büezer“ gleichermassen ab.

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