Andreas Rieger
300’000 Französinnen und Franzosen, die in London leben, haben langsam, aber sicher Panik vor dem harten Brexit. Zehn Prozent von ihnen planen nun ihre Heimkehr. «Brexode» nennen sie es. Und nicht nur die Franzosen bangen.
Insgesamt 3,7 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürger leben in Grossbritannien. Jetzt plagt sie die Unsicherheit: Werden sie danach noch das Recht haben zu bleiben, solange sie wollen? Sicher ist das nur für die eine Million Menschen, die registriert und seit mehr als 5 Jahren im Land sind. Die andern müssen sich einschreiben lassen und sitzen drum wie auf glühenden Kohlen. Ministerpräsident Boris Johnson spielt mit ihrer Unsicherheit, er benutzt sie als Geiseln für die Verhandlungen mit der EU.
PLÖTZLICH AUSLÄNDER. Wie auf glühenden Kohlen sitzen auch 1,3 Millionen Britinnen und Briten in verschiedenen EU-Ländern. Wenn sie dort neu als Ausländerinnen und Ausländer behandelt werden, ist es auch mit ihrer Aufenthaltssicherheit vorbei. Die Krankenkasse wird sie ein Mehrfaches kosten. Die Bürgerinitiative «British in Europe» schreibt dazu äusserst besorgt: «Die 27 Mitgliedstaaten der EU werden genau schauen, wie ihre Bürger im Vereinigten Königreich behandelt werden.» Und sich allenfalls rächen. Das kümmert Boris Johnson aber nicht.
Das alles zeigt, welch zentrales Recht die Personenfreizügigkeit darstellt. Einige Linke behaupten, sie sei vor allem das Recht der Kapitalisten, ohne Hindernisse Leute anzuheuern und auszubeuten. Diese Fehleinschätzung verkennt die Rechte von 18 Millionen Menschen, alle EU-Migranten.
Boris Johnson ist wie die SVP.
LOHNSCHUTZ SCHLEIFEN. Der britische Gewerkschaftsbund TUC warnt zudem: «Der harte Brexit gibt Johnson die Zügel frei, um Arbeitnehmerrechte zu schleifen.» Maximalarbeitszeiten, bezahlte Ferien, Lohngleichheit für Frauen usw. Diese Errungenschaften im britischen Recht beruhen auf EU-Richtlinien. Fallen letztere weg, muss das Parlament neu beschliessen. Boris Johnson wird deregulieren. Für ihn sind Arbeitnehmerinnenrechte eine Knebelung der Briten durch die EU. Boris Johnson ist wie die SVP: Auch sie will das Ende der Personenfreizügigkeit und der bilateralen Verträge mit der EU. Um damit den Lohnschutz zu schleifen.