Andreas Rieger
Anfang Sommer sagte Frank Bsirske: «Wer kann, der soll ausstempeln und an den Klimademos teilnehmen.» Der Vorsitzende der deutschen Gewerkschaft Verdi sprach von den allfreitäglichen Klimademonstrationen. Sein Aufruf ging durch die europäischen Medien – er war alles andere als selbstverständlich. Und die Klimastreikenden begrüssten die «hochwillkommene Unterstützung». Am 20. September nahmen dann allein in Deutschland 1,4 Millionen Menschen in 150 Orten an Klimademos teil. Bsirske und Zehntausende Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter waren dabei.
Frank Bsirske verstand die Gewerkschaft immer als Bewegung.
MINDESTLOHN & RYANAIR. Es ist nicht das erste Mal, dass Verdi und Bsirske die Nase vorn haben und politische Entwicklungen aufnehmen. Vor zehn Jahren stiessen sie die Diskussion über einen gesetzlichen Mindestlohn an. Millionen Arbeitstätige mit Armutslöhnen im reichen Deutschland: ein gesellschaftlicher Skandal, fand Bsirske. Mit einer starken Kampagne rüttelte Verdi die Bevölkerung auf – und der gesetzliche Mindestlohn kam.
Auch den Skandal, dass Erzieherinnen und Pflegerinnen viel zu wenig für ihre anspruchsvolle Arbeit verdienen, griff Verdi früh auf. Mehrere grosse Streiks in Kitas und in Spitälern haben eine starke Aufwertung dieser Frauenberufe ermöglicht. In diesen Bereichen wächst Verdi nun auch. Und das hat Folgen bis an die Verdi-Spitze: In der neuen Geschäftsleitung sitzen jetzt 6 Frauen und 3 Männer.
Die gewerkschaftliche Zukunft erkannt hat Verdi auch bei multinationalen Unternehmen. Das zeigt der Fall des Billigfliegers Ryanair. Wenn ein Multi seine Belegschaften zwischen den Standorten gegeneinander ausspielt, wie dies Ryanair tat, muss die Gewerkschaft grenzübergreifend agieren. Nach härtesten Arbeitskämpfen in mehreren Ländern gibt es für die Ryanair-Belegschaft jetzt Kollektivverträge mit weit besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen. Ähnliches will Verdi bei Amazon erkämpfen.
ÖKOLOGISCH & SOZIAL. All diese Beispiele zeigen: Frank Bsirske hat die Gewerkschaft immer als Bewegung verstanden. So hat er Verdi auch 18 Jahre lang geleitet. Jetzt tritt er altershalber ab. Umso mehr freut er sich über die Klimajugend: «Diese Jugendlichen sind intelligent – sie überlegen, wie man Ökologie und Soziales verzahnen kann.»