Fürs Arbeitszeugnis gibt es feste Regeln: Dran feilen – bis zur vollen Zufriedenheit

Sie haben Anrecht auf ein Arbeitszeugnis – jederzeit, vor allem aber nach der Kündigung. Aber wird Ihnen das Zeugnis auch gerecht? Was drinstehen muss, wie Sie es kritisch prüfen und falls nötig korrigieren lassen.

GUT GEMACHT: Sie haben das Recht auf ein Zeugnis, das Ihnen und Ihren Leistungen individuell gerecht wird und wertschätzend abgefasst ist. (Foto: Getty)

Ein bisschen ist das ja wie Schule. Nach vollbrachter Leistung kommt die Quittung, und die heisst Zeugnis. Vielleicht mit etwas Herzklopfen öffnen Sie also das Arbeitszeugnis, lesen es, lesen es nochmals – und fragen sich: Soll ich damit zufrieden sein? Sind etwa gar Codierungen drin, also verschlüsselte Botschaften, die künftige Chefinnen und Chefs vor mir warnen sollen? Jetzt ist Klärung und Bereinigung angesagt. So gehen Sie vor.

DAS FORMALE PRÜFEN

Die Vorgaben, was Ihr Arbeitszeugnis enthalten muss, sind verbindlich. Akzeptieren Sie kein Zeugnis, das nicht diese Elemente enthält:

  • Ihre Personalien, Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses.
  • Den Beschrieb Ihrer Funktionen und Tätigkeiten, und zwar ­detailliert genug, damit sich künftige Vorgesetzte ein Bild von Ihren Kompetenzen machen können.
  • Die Bewertung der erbrachten Leistungen.
  • Die Bewertung des Verhaltens gegenüber Mitarbeitenden, Vor­gesetzten, Kunden.
  • Die Datierung und die rechtsgültige Unterschrift der ausstellenden Person.
  • Guter Brauch, aber nicht zwingend sind die Erwähnung des Kündigungsgrunds und der Dank für die geleistete Arbeit.

Eine Empfehlung des Zeugnisexperten Rolf Summermatter (siehe Box unten): Markieren Sie den Zeugnistext mit Leuchtstiften. Zum Beispiel Gelb für die Angaben zu Person und Arbeitsverhältnis, Blau für den Tätigkeitsbeschrieb, Grün für die Aussagen zur Leistung, Rot für Aussagen zum Verhalten. So kommt Struktur in Ihre Textanalyse.

DIE TEXTANALYSE

Was in einem Zeugnis steht und was nicht, folgt verbindlichen Regeln. Gefordert sind Vollständigkeit, Wahrheitstreue und wohlwollende Formulierung. Achten Sie besonders auf folgende Punkte:

  • Sind Ihre Tätigkeiten und Funktionen genügend exakt beschrieben? Sind auch wichtige Tätigkeiten aufgeführt, die wegen eines Funktionswechsels in letzter Zeit nicht mehr Teil Ihres Pflichtenhefts waren? Sie haben Anrecht auf Vollständigkeit!
  • Stellt das Zeugnis eine Fortschreibung früherer Leistungs­ausweise dar – zum Beispiel von Qualifikationsgesprächen und Zwischenzeugnissen? Ein Schlusszeugnis darf früher ausgestellten Dokumenten nicht widersprechen und darf insbesondere nicht eine neue, schlechtere Bewertung enthalten – ausser für die Zeit nach dem letzten Qualifikationsgespräch oder Zwischenzeugnis.
  • Enthält das Zeugnis Informatio­nen, die verboten sind? Nicht erwähnt werden dürfen Krankheiten, die keinen wesentlichen ­Einfluss auf Leistung und Verhalten hatten, negative Urteile, die zuvor nie gefallen sind, Angaben über das Verhalten ausserhalb der Arbeitszeit und negative Vorkommnisse, die für das Arbeitsverhältnis insgesamt nicht typisch und/oder relevant waren.
  • Sind Ihre Leistung und Ihr Verhalten individuell, also mit klarem Bezug auf Ihre Tätigkeit, bewertet, oder stehen nur Floskeln im Zeugnis? Ist letzteres der Fall, liegt der Verdacht auf eine Codierung nahe (siehe Text unten: «Achtung, codiert!»). Also: Einspruch!
  • Ist der Kündigungsgrund genannt? Sie selbst dürfen entscheiden, ob der Kündigungsgrund angegeben wird oder nicht. Nur eine fristlose Kündigung muss immer im Zeugnis stehen. Heute werden Arbeitsverhältnisse oft im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst. Es ist richtig, dass hier interpretiert werden kann und auch wird. Umso wichtiger, dass Sie sich für kommende Vorstellungsgespräche eine gute Antwort auf die Frage zurechtlegen: «Weshalb haben Sie die vorherige Stelle verlassen?»

WOHLWOLLEND WAHR

Sachliche Differenzen werden in der Regel einfach zu bereinigen sein: Sie möchten mit Blick auf Ihre weitere Laufbahn Ihre Erfahrung in der Bearbeitung feinster Werkstücke prominenter erwähnt haben. Oder in der Aufzählung der Funktionen fehlt der Hinweis darauf, dass während Jahren auch die Lehrlingsbetreuung bei Ihnen lag. Melden Sie solche Wünsche, weisen Sie auf das Gebot der Vollständigkeit hin, und man wird dem Wunsch entsprechen.

Heikler wird es in den bewertenden Aussagen. Gab es Vorkommnisse, die sich auch in einer neuen Anstellung zum Nachteil der Firma auswirken könnten, darf sie Ihr jetziger Vorgesetzter nicht verschweigen. Eine Bank, die im Arbeitszeugnis über einen Kundenberater verschweigt, dass er Kundengelder aufs eigene Konto lenkte, kann gegenüber dem nächsten Arbeitgeber haftbar werden, falls das gleiche dort wieder passiert. Insofern ist es Pflicht der Firma, relevante negative Aspekte zu erwähnen. Dabei ist es sinnvoll, die Problempunkte klar zu beschreiben und bereits getroffene oder geplante Verbesserungsmassnahmen zu benennen. Insgesamt gilt das Gebot der wohlwollenden Formulierung: Denn ein Arbeitszeugnis hat den Zweck, das berufliche Fortkommen zu fördern und nicht zu behindern!

EINSPRUCH ODER KLAGE

Möchten Sie Änderungen an Ihrem Arbeitszeugnis durchsetzen, suchen Sie zunächst das Gespräch mit den Vorgesetzten. Zeugnis­experte Summermatter empfiehlt, in dieses Gespräch mit konkreten Wünschen einzusteigen und die gewünschten Textänderungen gleich selber zu formulieren. Gelingt die Einigung nicht, wenden Sie sich als Unia-Mitglied an die Beratungsstelle Ihres Unia-Sekreta­riats. Lassen sich die Differenzen nicht ausräumen, sind die Schlichtungsstellen des Arbeitsgerichts die nächste Anlaufstelle; kommt es zu keiner Einigung, muss das Gericht entscheiden.

Das Buch, der Kurs

Rolf Summermatter, Coach und Supervisor, hat seinen Ratgeber «Mein Arbeitszeugnis» in der Form eines Kurzromans verfasst: Viel Know-how, gut lesbar! CHF 13.50 inkl. Porto, beim Autor zu bestellen über www.apluscoaching.ch.

Summermatter gibt überdies ­Kurse am Bildungsinstitut der ­Gewerkschaften, Movendo. Nächstmals am 18. Oktober 2019: ­«Arbeits- und Zwischenzeugnis ­unter der Lupe».
www.movendo.ch


Zeugnissprache Achtung, codiert!

Die Geheimsprache für ­Arbeitszeugnisse – gibt es die wirklich? Tatsächlich sind eine Reihe von Wendungen in Gebrauch, die als versteckte Noten zu lesen sind. Achtung bei allen Sätzen, die Zufriedenheit enthalten: «Zu unserer vollen Zufriedenheit» heisst gut bis sehr gut; fehlt das ­«volle» aber, war die Leistung nur durchschnittlich. Will die Firma sagen, dass die Leistung nach ihrer ­Meinung nicht genügte, schreibt sie «meistens zu unserer Zufriedenheit» (also schwankte die Leistung), oder sie wählt Floskeln, bei denen die Warnlampen flackern: Die Wendungen «Er hat sich stets bemüht» oder «gab sein Bestes» beschreiben ja nur den Willen zur Leistung, nicht die Leistung selbst. Ähnliche Phrasen können zum Verhalten formuliert sein: «Ihr Verhalten gegenüber Kunden war korrekt» kann nämlich auch bedeuten, dass die beschriebene Person Kundinnen mit Dienst nach Vorschrift schikanierte. Erst die Zusätze «freundlich» und/oder »zuvorkommend» drehen die Aussage ins Positive. Zu den Codierungen zählt der Zeugniscoach Rolf Summermatter auch das «laute Schweigen». Fehlen Aus­sagen über Leistung und Verhalten völlig, interpretieren Leserinnen und Leser des Zeugnisses dies eben so: «Beides war nicht der Rede wert!» Codierungen sind verpönt, aber nicht ausdrücklich verboten: Setzen Sie sich zur Wehr, wenn Sie Formulierungen finden, die verschlüsselte Hinweise enthalten könnten, und verlangen Sie eine individuelle Formulierung. Eine Liste von häufig verwendeten Codes finden Sie hier: rebrand.ly/codierung

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.