Die Urzeit, wie wir sie zu kennen glauben, ist eine Erfindung des Bürgertums. Folgenreich und falsch, wie eine archäologische Ausstellung in Biel zeigt.
MONO LISA? Keine Frau, sondern ein Mann soll angeblich Leonardo da Vinci zum berühmten Bild inspiriert haben. (Foto: Alamy)
2007 wollten zwei britische Psychologinnen herausgefunden haben, warum Mädchen Rosa mögen und Buben Blau. Die Erklärung: Weil Frauen in der Urzeit Beeren sammelten, seien sie bis heute auf Rottöne fixiert. Während der jagende Steinzeitmann unentwegt in den Himmel guckte, weshalb Männer noch heute – rund 2,6 Millionen Jahre später – eine Vorliebe für Blau hätten.
Das Problem: Das Ganze basiert auf einem Märchen. Denn: Das gängige Bild der Steinzeit, in der die Männer Mammuts jagten, während die Frauen Beeren sammelten und in der Höhle die Kinder hüteten, wurde bis heute nie wissenschaftlich belegt. Im Gegenteil: In den letzten 30 Jahren häufen sich die Beweise, dass es doch ganz anders war.
Männer und Frauen waren einst gleich gross und kräftig.
VON WEGEN KÄMPFER
Wie, das zeigt die Ausstellung «Ich Mann. Du Frau.» im Neuen Museum Biel. Die dort präsentierten Forschungsergebnisse zertrümmern die – angeblich seit Urzeiten herrschenden – Geschlechterrollen.
Der Steinzeitmann als Begründer der Kunst? Nicht im geringsten. Lange vertraten Forscher hartnäckig die Meinung, dass die Höhlenmalereien von Männern stammten. Bis der US-amerikanische Archäologe Dean Snow die farbigen Handabdrücke in französischen und spanischen Steinzeithöhlen analysierte. Und 2013 zum Schluss kam: rund drei Viertel der Abdrücke stammen von Frauen.
Der Mann, der Kämpfer? Auch das: ein Missverständnis. Das beweisen Grabfunde aus der Eisenzeit im deutschen Städtchen Fridingen. Im Grab 66 fanden die Archäologen ein eisernes Kurzschwert und zwei Messer als Totenbeigabe. In Grab 75: Perlenketten, Bronzeringe, Schnallen, ein Messer und eine Spindel. Für die Forscher war klar: In Grab 66 wurde ein Mann begraben, in Grab 75 eine Frau. Später zeigte die Untersuchung der Skelette: Es war genau umgekehrt. Dem Mann gehörte der Schmuck. Der Frau das Schwert.
Und zu guter Letzt: Der Mann, der Büezer und Ernährer? Nicht mehr, als dass das auch Frauen und Kinder waren. Das zeigt das Beispiel Halstatt in Österreich. Dort liegt das grösste Salzbergwerk der Bronze- und Eisenzeit. Daneben: Grabfelder. Darin: Jene, die ab 800 vor Christus im Bergwerk büezten. Männer, Frauen, Kinder. Der Befund: Alle Skelette haben die gleichen Abnutzungsspuren, alle leisteten die gleiche Arbeit.
Dass Frauen- und Männerberufe eine neue Erfindung sind, zeigen auch Knochenfunde aus der Jungsteinzeit: Frauen waren Werkzeugmacherinnen, während Männer am Webstuhl sassen und Kleider produzierten. Dazu kommt: Ein «starkes» und ein «schwaches» Geschlecht gab es ursprünglich nicht. Männer und Frauen waren einst gleich gross und kräftig. Erst als die Menschen sesshaft wurden, entwickelten sich die Körper unterschiedlich – aber nicht zwingend die Verteilung der Arbeit. Bis heute sind Frauen in nordamerikanischen und afrikanischen Naturvölkern genauso Teil der Jagdrunde wie Männer. Kindern zum Trotz. Denn: Erziehung ist nicht nur Sache der Eltern, sondern der Gemeinschaft. Das dürfte auch in der Urzeit gegolten haben.
VOM BÜRGERTUM ERFUNDEN
Die Urzeit, wie wir sie kennen, ist demnach ein reiner Mythos. Und ein gewaltiger Coup des Bürgertums. Das machte sich im 18. und 19. Jahrhundert daran, die Gesellschaft neu aufzustellen. Das Modell der Kleinfamilie wurde konstruiert, Geschlechterrollen fixiert – und frech behauptet, dass diese Aufteilung «naturgemäss» und «urzeitlich» sei. Genauso, wie es heute die Rechten von der AfD und der SVP machen, wenn sie behaupten: Die Frau am Herd, das sei schon immer so gewesen.
Die bürgerliche Propaganda vom Mann als Ernährer und der Frau als Mutter setzte sich über 200 Jahre lang durch. Nicht nur in allen sozialen Schichten, sondern auch in den Köpfen der Wissenschafter (die bis in die 1970er Jahre vornehmlich Männer waren). Damit wurde die Urgeschichte, wie wir sie kennen, nicht vor 2,6 Millionen Jahren geschrieben, sondern im 19. Jahrhundert.
Und a propos Coup: In den 1950er Jahren überlegte sich die Werbewirtschaft, wie sie den Konsumentinnen und Konsumenten mehr Ware unterjubeln könnte. Die Idee: Mädchen sollten fortan Rosa tragen, Jungs Blau. Es funktionierte, der Umsatz stieg, die «pinke Globalisierung» setzte ein. Mit der Urzeit haben Farbe und Geschlecht also rein gar nichts zu tun. Sondern, ganz einfach: mit Kapitalismus.
Ausstellung Ich Mann. Du Frau. FESTE ROLLEN SEIT URZEITEN?: Neues Museum Biel, bis am 29. März 2020. www.nmb.ch.