Daria Lucidi (31) und Mario Dunst (27) haben die Nase voll vom Geiz und Stress beim Luxusuhren-Label IWC. Und sie sind nicht alleine.
MEHR LOHN, WENIGER STRESS! Daria Lucidi und Mario Dunst (unten) lieben ihren Job. Doch die Löhne bei IWC sind um Welten tiefer als anderswo, und die Stimmung der Belegschaft leidet unter dem enormen Zeitdruck. (Fotos: Michael Schoch / Stephan Bösch)
Am Zurich Film Festival trug die Schauspielerin Cate Blanchett eine IWC-Uhr. Die «Portofino Automatic 34» kostet zwischen 5300 und 19’900 Franken und gehört zu den günstigsten der Schaffhauser Traditionsmarke. Andere kosten bis zu einer Viertelmillion. Aber auch für die einfachste Portofino müsste IWC-Arbeiterin Daria Lucidi mehr als anderthalb Monatslöhne hinblättern.
Gerade mal 3181 Franken brutto bekommt sie für ihr 70-Prozent-Pensum in der Qualitätsprüfung. Die Arbeit mache sie gern, sagt Lucidi: «Sie ist abwechslungsreich, und ich habe viele Freiheiten.» Aber eben, der Lohn. Sie sagt: «Unsere Löhne liegen Welten entfernt von denen in anderen Industriebetrieben.»
IWC-Beschäftigter Mario Dunst.
«GEHT DOCH IN DEUTSCHLAND EINKAUFEN»
Tom Moser * zum Beispiel. Er hat eine Vollzeitstelle, einen Lehrabschluss und mehrere Jahre Erfahrung. Trotzdem zahlt ihm IWC nur knapp 4500 Franken im Monat. Er sagt: «Hier in der Ostschweiz liegt der übliche Lohn bei meiner Qualifikation etwa bei 5500 Franken, im Kanton Zürich sogar bei über 6000 Franken.» Der Uhrmacher Roger Blum * fügt hinzu: «Die Chefs sagen uns jeweils, wir könnten ja in Deutschland einkaufen gehen, dann reiche der Lohn länger.»
Und die Löhne stagnieren. Jannik Held von der Unia Zürich-Schaffhausen sagt: «Viele haben in den letzten Jahren gar keine Lohnerhöhung bekommen. Oder dann nur fünf Franken.»
Eine Gruppe von derzeit 17 aktiven Unia-Mitgliedern bei IWC will sich das nicht mehr gefallen lassen. IWC-Arbeiterin Lucidi sagt: «Es ist Zeit, dass etwas geht bei den Löhnen.» Seit gut einem Jahr trifft sich die Gruppe regelmässig, unterstützt von der Unia. Für alle eine neue Erfahrung. Denn vorher herrschte im Betrieb jahrelang tote Hose in Sachen Gewerkschaft. Lucidi sagt: «Jetzt sind wir viele, die etwas verändern wollen.»
Vor den Lohnverhandlungen machte die Gruppe im Betrieb eine Umfrage. Für den Flyer stand Lucidi mit Namen und Foto hin, zusammen mit einem Kollegen. Lucidi sagt: «Ich habe damit gerechnet, dass ich von irgendeinem Chef ins Büro zitiert werde.» Aber nichts geschah. «Dafür bekam ich viele positive Rückmeldungen von Kolleginnen und Kollegen.» 141 machten bei der Umfrage mit – immerhin ein Fünftel der Belegschaft. Im Mittel fordern sie eine Lohnerhöhung von 350 Franken. Bisher hat IWC nicht auf diese Forderung reagiert und auch die Fragen von work ignoriert.
«Viele IWC-Leute sind frustriert.»
EFFIZIENZ TOP, STIMMUNG FLOP
Der Lohn ist das eine, der Zeitdruck das andere. Uhrmacher Mario Dunst macht Reparaturen, er ist spezialisiert auf alte Uhren. Bis zu 80 Jahre alte Stücke bringt er wieder zum Laufen. Eine schöne Arbeit, sagt er. Aber IWC trimmte seine Abteilung nach der Methode des «lean management» auf höchste Effizienz. Zwei Wochen nach Ankunft im Betrieb muss eine Uhr zurück zur Kundschaft. Bloss: An manchen Tagen kommt gar keine Uhr rein, an anderen Tagen vielleicht hundert aufs Mal. Dunst: «Früher konnten wir diese Schwankungen über fünf Wochen hinweg ausgleichen, jetzt nur noch über zwei.» Dadurch sei der Druck enorm gestiegen. Dunst sagt: «Viele Leute sind frustriert. Ich will mich jetzt dafür einsetzen, dass die Stimmung wieder besser wird.»
Lohnverhandlungen: Das sind die neuen Abschlüsse
Coop: Plus ein Prozent
Die Lohnsumme steigt bei Coop ab Januar um ein Prozent. Das haben die Sozialpartner ausgehandelt. Ein Viertel davon ist für langjährige Mitarbeitende mit tiefen Löhnen reserviert. Das ist eine Verbesserung: In den letzten Jahren gewährte Coop nur individuelle Lohnerhöhungen. Arnaud Bouverat, Coop-Verantwortlicher bei der Unia: «Nur unter dieser Bedingung haben die Unia-Mitglieder der Fachgruppe Coop dieser Erhöhung zugestimmt.» Coop hat zudem zugesichert, dass mindestens zwei Drittel der Mitarbeitenden eine Lohnerhöhung bekommen. Die Unia werde die Verteilung überprüfen, so Bouverat. Er sagt aber klar: «In der nächsten Lohnrunde braucht es eine generelle Lohnerhöhung für alle.»
Textilindustrie: Plus 100 Franken
In der Textil- und Bekleidungsindustrie haben sich die Vertragspartner geeinigt: Alle Mindestlöhne steigen um hundert Franken. Je nach Kategorie entspricht das einem Anstieg von 2,1 bis 2,9 Prozent. Für Hilfsarbeitende beträgt der Mindestlohn neu 3600 Franken. Für Facharbeitende mit Lehre liegt er bei 4100, ab drei Jahren Berufserfahrung bei 4500 Franken.
Holzbau: Höhere Mindestlöhne
Im Holzbau steigen die Mindestlöhne um 1,5 Prozent. Davon profitieren etwa 70 Prozent der Mitarbeitenden direkt. Denn der GAV legt auch für die ersten zehn Berufsjahre die Mindestlöhne fest. Für Zimmerleute beträgt der Mindestlohn nach der Lehre – einschliesslich gleichmässig ausgeschütteten Leistungslohns – 4502 Franken, nach zehn Jahren 5569 Franken.