Andreas Rieger
Es war eine monatelange Zangengeburt, aber jetzt ist sie da, die linke spanische Koalitionsregierung. Die sozialdemokratische PSOE und die sozialbewegte Podemos haben sich zusammengerauft. Inhaltlich war dies nicht schwierig – die beiden Parteien haben viel gemeinsam. Das 50seitige Dokument ist wohl seit langem das stärkste linke Regierungsprogramm in Europa: gute Arbeit für alle, mehr soziale Sicherheit, Ausbau der Rechte der Frauen, der Regionen, ökologischer Umbau und Wirtschafts- und Industriepolitik bilden ein zusammenhängendes Paket.
Den Gewerkschaften und der Linken steht kein Spaziergang bevor.
HÖHERER MINDESTLOHN. Die Gewerkschaften haben Geburtshilfe geleistet, das ist deutlich: Die Regierung will konkret die vor acht Jahren erfolgte Deregulierung des Arbeitsrechts rückgängig machen – der Kündigungsschutz wird damit verstärkt. Auch die Verschlechterung bei den Renten wird wieder aufgehoben. Stark erhöhen will die Regierung den gesetzlichen Mindestlohn, von heute 900 Euro schrittweise auf 1200. Weitere Punkte im Regierungsprogramm sind: mehr Rechte in den Kollektivverträgen für die Gewerkschaften, Kampf dem Sozialdumping, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das Gesicht dieser Politik ist Yolanda Díaz. Sie stammt aus einer Gewerkschaftsfamilie, war Anwältin von Arbeiterinnen und Arbeitern, vertrat misshandelte Frauen. Zuletzt war sie bei den Protesten der Kellys, der streikenden Zimmerfrauen, solidarisch dabei (siehe Seite 12). Jetzt wird Yolanda Díaz Arbeitsministerin – zum Schrecken der Arbeitgeber, für die sie «viel zu radikal» ist.
RIESIGE GESCHÄFTE. Die Gewerkschaften dagegen sind hocherfreut. Was sie in den letzten 10 Jahren gefordert hatten, steht nun im Regierungsprogramm. Aber aufgepasst, «Papier nimmt alles an», sagt Unai Sordo, Generalsekretär der Comisiones Obreras, der grössten spanischen Gewerkschaft. Er weiss, die Gegenkräfte sind in Spanien riesig. Und die Regierung hat im Parlament nur eine Wackelmehrheit. Der Arbeitgeberverband ist empört – «barbarisch» sei die Erhöhung des Mindestlohnes. Die rechte Opposition schreit, die neue Regierung bedeute «Chaos und Landesverrat». Die NZZ meldet «Alarm» bei den Investoren und Ratingagenturen. Die Regierung wolle mehr investieren statt sparen – welch ein Graus!
Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschaftsbewegung aktiv.