70 Verkäuferinnen und Verkäufer wagen in Nyon VD den Aufstand gegen längere Ladenöffnungszeiten – und gewinnen! Für ihren Mut und ihre Ausdauer ehrt die Unia das Kollektiv mit dem Prix Engagement.
AUSGEZEICHNET! Jeanne d’Arc Dumartheray, Anne-Lise Rielli und Célia Brodard (von links) vom Kollektiv gegen längere Ladenöffnungszeiten in Nyon mit dem Prix Engagement der Unia. (Foto: Matthias Luggen)
«Nein», sagt die Parfumerieverkäuferin Anne-Lise Rielli (49). Am Samstag bis sieben Uhr abends im Laden stehen statt wie bisher bis sechs? Kommt nicht in Frage. Rielli: «Entweder du fügst dich – oder du wehrst dich.» Rielli wehrt sich. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Jeanne d’Arc Dumartheray (62), Célia Brodard (25) und rund 70 weiteren Verkäuferinnen und Verkäufern – mit Erfolg. Deshalb verleiht die Unia dem Kollektiv für seinen Einsatz und seinen Mut den Prix Engagement (siehe Kasten).
Doch der Reihe nach: Im letzten April beschliesst im waadtländischen Städtchen Nyon die rechtsbürgerliche Mehrheit im Gemeindeparlament die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten, auf Betreiben der Ladenvereinigung. Doch die Mitarbeitenden im Detailhandel organisieren sich und sammeln Unterschriften für ein Referendum. Die Unia unterstützt sie dabei.
«Wenn wir schweigen, ändert sich nichts.»
SCHWEIGEN? NEIN!
Für viele ist es das erste Mal, dass sie sich in einer Gewerkschaft engagieren. Auch für Célia Brodard. Sie war damals Verkäuferin bei der Modekette Zebra. Sie habe keinen Moment gezögert, sich der Bewegung anzuschliessen: «Wenn wir schweigen, ändert sich nichts.» Migros-Verkäuferin Dumartheray gibt zu: Zuerst hatte sie Angst, Kundinnen und Kunden auf das Referendum anzusprechen. «Aber eine Kundin sagte mir: ‹Akzeptiert das nicht!› Das hat mir Mut gemacht.»
Nicht nur an den Kassen sammelt das Kollektiv Unterschriften, sondern auch in der Freizeit. Strategisch überlegen sie, wo es am meisten Unterschriften zu holen gibt. Rasch wird klar: Der Bahnhof ist ungünstig, die Leute haben keine Zeit. Sie gehen von Tür zu Tür. Auch das koste Überwindung, sagt Brodard. Einmal habe ein Mann nur in Unterhosen die Tür geöffnet. «Aber er hat unterschrieben!» sagt sie und lacht.
Dann schlägt jemand vor, es beim Entsorgungshof zu probieren. Ein Volltreffer. Parfumerieverkäuferin Rielli: «Da hat es immer viele Leute, und sie sind nicht so gestresst.»
FREUDENTRÄNEN
Am Schluss reicht das Komitee 3554 Unterschriften ein gegen die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten. Das sind fast doppelt so viel wie nötig und ein Rekord in Nyon. Und drei Monate später schliessen sich an der Urne 52 Prozent der Stimmberechtigten dem Kollektiv an. Célia Brodard sagt: «Als das Resultat feststand, habe ich geweint.»
Migros-Kassierin Jeanne d’Arc Dumartheray sagt, sie sei «richtig stolz» auf das, was sie und ihre Kolleginnen geleistet hätten. Nur etwas bedauert sie: «Dass ich erst jetzt, nach 18 Jahren im Verkauf und kurz vor der Pensionierung, erfahren habe, dass es die Unia gibt.»
Prix Engagement II: Coop-Verkäuferin Susanna Keller brachte den Frauenstreik in ihre Filiale
Susanna Keller setzte sich durch. In ihrer Coop-Filiale legten am Frauenstreik alle die Arbeit nieder. Dafür gibt’s von der Unia den Prix Engagement.
UNERSCHROCKEN: Susanna Keller. (Foto: Matthias Luggen)
«Es war ein klarer Fall», sagt Susanna Keller (57). Als die Coop-Verkäuferin vernahm, dass es am 14. Juni 2019 einen Frauenstreik geben sollte, «da dachte ich, das machst du jetzt mal». Aber wie streikt frau im Detailhandel, noch dazu in einer kleinen Filiale? Keller arbeitet in Lengnau BE. Drei bis fünf Mitarbeitende sind dort jeden Tag eingeteilt. «Wenn jemand fehlt, müssen die anderen mehr arbeiten, das kann es nicht sein.» Aber Keller ist seit über 30 Jahren Gewerkschafterin und weiss: Wer will, findet einen Weg.
Verkäuferin Keller erfand den Fünf-Minuten-Streik.
VIEL MUT. Deshalb erfindet Keller den Fünf-Minuten-Streik. Das geht so: «Wir haben Anrecht auf 15 Minuten Pause. Am Frauenstreiktag machten wir 20 Minuten Pause.» Was ihr wichtig war: Die fünf zusätzlichen Minuten sollten nicht als Pausenzeit zählen. «Der Streik war während der Arbeitszeit, das war klar!» Sie überzeugt zuerst die Filialleiterin und dann ihre Kolleginnen. «Eigentlich ging es ganz leicht», sagt sie heute. Und das ist erstaunlich.
GROSSE ANGST. Denn so leicht geht es nicht immer. Im Verkauf hätten viele Angst, sich zu engagieren. Das führe dazu, dass sie nicht über die Arbeitsbedingungen sprächen. Oder über gewerkschaftliches Engagement. «Nicht einmal untereinander, wenn kein Chef oder keine Chefin zuhört.»
Susanna Keller und ihre Kolleginnen in Lengnau haben jetzt gemerkt: Wer sich engagiert und es richtig angeht, riskiert nichts. Ausser, einen Preis zu gewinnen.
Prix Engagement: für Mutige
Der Prix Engagement wird seit 2018 vom Dienstleistungssektor der Unia vergeben. Er zeichnet Mitglieder aus, die sich besonders für die Rechte von Arbeitnehmenden einsetzen.
ECHT STARK. Dieses Jahr geht der Preis an das Kollektiv in Nyon, das erfolgreich gegen längere Ladenöffnungszeiten kämpfte, sowie an die Coop-Verkäuferin Susanna Keller, die am Frauenstreik vom 14. Juni im Coop Lengnau BE eine Streikpause durchsetzte.
Die Gewerkschaft UNIA würde sich, am besten, für seine Mitarbeiter einsetzen, Sie sind auch Gewerkschaft Mitglieder.