Securitas-Mann Elio Li Voti patrouilliert und kontrolliert. Immer nachts, immer alleine. Meist ist alles ruhig – doch plötzlich: ein Schrei …
NICHT VORHERSEHBAR. Securitas-Wächter Elio Li Voti (44) weiss nie, was ihn erwartet. (Fotos: Matthias Luggen)
Seine Hauptarbeit sei es, «Türen zu verriegeln», sagt Elio Li Voti und grinst. Er weiss: Das tönt unspektakulär und ist es auch. «Man kann in dem Job sechs Monate lang Routine haben, stinklangweilig. Und plötzlich passiert etwas.»
So wie an jenem Abend im vergangenen Winter. Es ist kurz nach 22 Uhr. Li Voti patrouilliert in der Gemeinde Saint-Imier im Berner Jura. Da hört er laute Schreie, schaut nach, und sieht einen Mann, der Schneebälle gegen ein Verwaltungsgebäude der Stadt wirft. Just in dem Moment öffnet sich die Tür, und eine Gruppe Menschen tritt heraus, darunter ein bekannter Lokalpolitiker. Li Voti: «Da zückt der Schneeballwerfer ein Taschenmesser und bedroht die Gruppe.»
Sofort geht Li Voti dazwischen, spricht mit dem Mann, beruhigt ihn. Dann bringt er die Gruppe wieder zurück ins Gebäude, in Sicherheit. Und geht zurück zum Unruhestifter. Schliesslich geht dieser weg, macht aber immer noch einen aufgebrachten Eindruck. Li Voti ruft die Polizei, diese kann den Angreifer kurz darauf festnehmen. Niemand wird verletzt, dank der Intervention des Securitas-Mannes.
IMMER WACHSAM: Pro Schicht kontrolliert Securitas-Mann Elio Li Voti 20 bis 30 Gebäude. Er ist immer alleine und immer nachts unterwegs.
FIT UND STARK. Innerhalb von Sekunden müsse man richtig reagieren können, sagt Unia-Mitglied Li Voti. Das stelle hohe Anforderungen: Selbstdisziplin und Wachsamkeit seien die wichtigsten Fähigkeiten eines Sicherheitsmitarbeiters. Dazu Widerstandskraft, psychisch und körperlich. Li Voti arbeitet nur nachts, jeweils ab etwa acht Uhr abends bis morgens um sechs. Und immer alleine. «Sowohl an die Nachtarbeit und ans Alleinsein habe ich mich gewöhnt», sagt er. Auch an den Umgang mit Stress. Etwa, wenn ein Alarm losgeht und er nachschauen muss. «Ich weiss nie, was mich erwartet.» Schon nur die Alarmsirene, über 85 Dezibel laut, lasse den Puls höherschlagen. Deshalb stellt er sie ab, sobald er kann. Wenn er dagegen Hinweise auf einen Einbruch feststellt, alarmiert der Familienvater die Polizei: «Dann spiele ich nicht den Helden. Die erste Priorität ist mein eigenes Leben.»
PRÄVENTION. Seine Patrouillen im öffentlichen Raum, im Auftrag der Gemeinden, dienen hauptsächlich der Prävention, sagt er. Die Leute sollen ihn sehen. Und er lässt sie wissen, dass er sie sieht. Der andere Teil seiner Arbeit sind Kontrollen bei Firmen. Eben: ob alle Türen und Fenster verschlossen sind. Zwischen 20 und 30 Gebäude überwacht er so jede Nacht.
Nachtarbeit ist die Regel in der Sicherheitsbranche. Dafür gibt’s laut Gesamtarbeitsvertrag (GAV) zehn Prozent Zuschlag. «Zu wenig», sagt Li Voti und verzieht das Gesicht. «Wir müssten fünfmal so viele Gewerkschaftsmitglieder sein in der Branche wie heute», sagt er, «dann hätten wir einen viel besseren GAV.» An ihm soll’s nicht liegen: Wo er kann, motiviert er Leute, der Unia beizutreten. Egal, ob unter Berufskollegen oder im Fitnesscenter. Oft habe er Erfolg, sagt er und schmunzelt: «Schliesslich war ich mal Verkäufer» (siehe unten).
SKRUPELLOSE CHEFS. Beim GAV weiss er, wovon er spricht. Schliesslich hat er ihn selber mitverhandelt – als Basisvertreter in der Unia-Delegation. Er weiss auch: Der GAV hat noch viele Lücken. So ist er nur für Betriebe verbindlich, die 10 oder mehr Personen beschäftigen. Das nützen skrupellose Firmenchefs aus, sagt Li Voti. Sie hätten nur eine Handvoll Festangestellte. «Wenn ein grosser Auftrag bevorsteht, bieten sie massenweise Aushilfen auf, oft per SMS.» Und zu einem schlechten Lohn. Eine unfaire Konkurrenz für die Firmen, die korrekte Löhne zahlen. Für Li Voti ist darum klar: Es braucht viel mehr Kontrollen, gerade bei kleinen Firmen. «Sonst bleiben wir eine Branche, in der Lohndumping grassiert.»
Elio Li Voti Pizzaiolo
Nach der Wirtschaftsmatur in Italien führte Elio Li Voti sieben Jahre lang eine Pizzeria im norditalienischen Vicenza. Der Sohn einer Liberianerin und eines Italieners jobbte später als Flyer-Verteiler und als Vertreter für Tiefkühllebensmittel. «Ich ging von Tür zu Tür und habe die Leute bequatscht.»
2013 kam er in die Schweiz und wohnt seither im Tal von Saint-Imier im Berner Jura. Für sein 95-Prozent-Pensum zahlt ihm Securitas einen Lohn von gut 5200 Franken brutto. Ein Traumberuf sei die Sicherheitsbranche nicht gewesen, aber «die vernünftigste Arbeit, die ich finden konnte». Und wenn schon, dann will er sie richtig machen. Als erstes machte er den eidgenössischen Fachausweis. Jetzt gerade besucht er neben der Arbeit eine Weiterbildung zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz. Nächstes Jahr will er dann einen Intensiv-Deutschkurs machen.
JURA-JOGGING. Nach Hobbies gefragt, sagt der Familienvater wie aus der Pistole geschossen: «Die Unia.» Er ist im Zentralvorstand der Unia, als Vertreter der IG Migration, zudem Co-Präsident der Branche Sicherheit. Daneben joggt er gerne die Juraberge rauf und runter und betrieb Kampf- und Boxsport – bis ihn eine Verletzung zur Pause zwang: «Eigentlich müsste ich jetzt wieder anfangen …»