Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.
«Die Jungen nennen uns ‹die Boomers›, die Babyboomer-Generation, wir seien nicht die Hellsten, könnten nichts am Computer und seien digitale Banausen», klagte kürzlich die Schwester der Briefträgerin und wirkte verletzt. «Haben die Rotznasen überhaupt eine Ahnung, was alles wir bewegt haben?»
Die Digitalisierung führt zu einer
Vereinfältigung der Arbeit.
VERGESSEN. Die Briefträgerin sieht das gelassener. Aus meiner Sicht als Jugendliche machten die Alten auch alles falsch. Und die heutigen Jungen mögen versierte und clevere digitale Anwenderinnen und Anwender sein, die Folgen und Gefahren ihres Verhaltens im Internet sind ihnen oft weniger bewusst als den Netznutzerinnen und -nutzern der ersten Stunde. Oder sie sind ihnen egal.
«1984» ist unbekannt oder vergessen (wobei George Orwell sich ein Internet ja wohl niemals vorgestellt hat), und Kontrolle und Überwachung – raffiniert und undurchschaubar – droht heute eher von privatwirtschaftlichen Datensammlerinnen und -sammlern als von staatlicher Seite.
SELBER DENKEN. Der Schutz der Daten ist das eine, denkt die Briefträgerin. Etwas anderes sind die elektronischen Datenverknüpfungen und Algorithmen, die nicht zuletzt die tägliche Arbeit beeinflussen und verändern, vereinfachen sollen. Die Maschinen in den Sortierzentren der Post zum Beispiel sortieren Sendungen mit inaktiven Adressen aus und retournieren sie, sie spritzen bei Wohnungswechseln die neu gültige Adresse aufs Couvert und leiten es an diese um. Zeitungen gelangen bei Adressänderungen oder Aufträgen zum Zurückbehalten der Post bereits gesondert zur Briefträgerin. Die Briefträgerinnen und Briefträger müssen immer weniger selber denken. Die Digitalisierung führt also in der Tat zu einer Vereinfachung der Arbeit. Um nicht zu sagen zu einer Vereinfältigung.