Brütende Hitze liegt über den Wassermelonen-Plantagen im südspanischen Murcia. Doch Eleazar Blandón arbeitet weiter. Bis er umfällt.
TÖDLICHE MELONEN: Eleazar Blandón auf einem Selfie auf der Plantage, deren Arbeitsbedingungen ihn umbrachten. (Foto: ZVG)
Schweiz, 1. August 2020: Es chlepft und knallt, es gibt Reden und Zopf, Cervelat mit Senf und bei uns daheim eiskalte Wassermelone zum Dessert.
Spanien, 1. August 2020: Eleazar Blandón Herrera (42) erntet seit fünf Uhr morgens Wassermelonen. Es ist höllisch heiss. Über 40 Grad. Trinkwasser? Gibt es nicht. Schatten? Fehlanzeige! Dann sinkt Blandón zu Boden. Doch niemand ruft eine Ambulanz. Zuerst kommen die Melonen. Bis der Lastwagen voll ist. Das dauert Stunden. Erst nach Feierabend kommt der Transporter, der die Erntearbeiter in die Stadt Lorca (Murcia) zurückfährt. Der Chef bringt zuerst alle anderen Erntehelfer in ihre Unterkünfte. Erst dann fährt er zum Spital. Dort legt er Blandón draussen vor der Tür hin. Blandón wird dort sterben. An den Folgen eines Hitzschlages. So, wie sein Vater schon vier Jahre zuvor auf einer Plantage in Texas. In seiner letzten Nachricht schrieb dieser nach Hause: «Es ist so heiss, sogar meine Schuhe schmelzen.»
Die Schreckensnachricht erreicht Blandóns Frau Karen Altamirano Castro (32) zu Hause in Nicaragua. Und sie kann es nicht fassen. Per Whatsapp schreibt sie der Zeitung «El País»: «Ich möchte nur, dass er mit mir spricht und mir sagt, es gehe ihm gut!» Altamirano hat ihren Mann seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen. Im Oktober 2019 hat er Nicaragua verlassen. So wie Hunderte Nicaraguanerinnen und Nicaraguaner auch. Denn die landesweiten Proteste gegen Vetternwirtschaft und Repression liess Nicaraguas Präsident Daniel Ortega mit Sicherheitskräften und Paramilitärs brutal niederschlagen. Als Eleazar Blandón ging, war Altamirano schwanger. Jetzt ist das Baby sechs Monate alt. Seinen Vater wir es nie kennenlernen.
Auch Migros und Coop führen Früchte aus Südspanien.
KEIN EINZELFALL
Blandón beantragt Asyl in Spanien. Sein Antrag wird jedoch nicht bearbeitet, weil die Behörden überlastet sind. Dann kommt Corona, und alles steht still. Schliesslich engagiert ihn eine Temporärfirma als Erntehelfer, auch ohne die nötigen Papiere.
Er weiss nie, wer der Besitzer der Plantage ist, auf der er gerade chrampfen muss. Bis zu 11 Stunden am Tag für maximal 5 Euro pro Stunde. Die Pausen sind selten, Schatten auch. Im Traktor steht zwar ein Kanister Wasser, doch nach wenigen Stunden in der Gluthitze ist es so heiss, dass man sich die Lippen verbrennt. Arbeitet Blandón zu langsam, wird er vom Chef der Temporärfirma beschimpft. Erntet er die Wassermelonen auf den Knien, um seinen schmerzenden Rücken zu entlasten, bewirft dieser ihn mit Erde. Mitten ins Gesicht.
«Unter solchen Bedingungen sollte niemand arbeiten müssen», sagt Ángel Torregrosa von der Gewerkschaft Comisiones Obreras der Region Murcia. Er ist entsetzt über Blandóns Tod. Auch deshalb, weil er nicht der einzige ist: Immer wieder erleiden Erntehelfende einen Hitzschlag. Eigentlich seien die Firmen verpflichtet, den Arbeiterinnen und Arbeitern kühles Wasser zur Verfügung zu stellen und Pausen am Schatten zu ermöglichen, erzählt der Gewerkschafter: «Aber das tun die meisten nicht. Legal wären in dieser Jahreszeit Arbeitstage von maximal 7 Stunden, die um 2 Uhr nachmittags enden. Und ein Mindestlohn von 7,30 Euro pro Stunde.»
Das grösste Übel auf den Plantagen sind die Temporärfirmen. Sie lassen Migrantinnen und Migranten – mit oder ohne Papiere – zu miserablen Bedingungen chrampfen. In der Region Murcia sind 50 Prozent der Beschäftigten über solche Firmen angestellt, die Mehrheit davon im Landwirtschaftssektor. Wie viele dieser «Saisonniers» dies schwarz tun, weiss man nicht. Die Landarbeitergewerkschaft SOC-SAT schätzt, dass mindestens jeder fünfte Arbeiter illegal in Spanien arbeitet.
Der Fall Blandón hat jetzt auch Spaniens Arbeitsministerin Yolanda Díaz wachgerüttelt. Sie gehört zum linken Bündnis Unidas Podemos und kündigte an, sie wolle dringend etwas gegen die sklavenähnlichen Zustände in den Plantagen machen. Und erntete damit prompt heftige Kritik der Agrarlobby.
EUROPAS GEMÜSEGARTEN
Südspanien ist Europas Obst- und Gemüsegarten. 2018 erreichte allein die Region Murcia ein Exportvolumen von über 2,5 Millionen Tonnen. Insgesamt liefert die Region in 88 Länder. Auch Migros und Coop haben Gemüse und Früchte aus Südspanien im Sortiment.
Mathias Stalder von der Schweizer Bauerngewerkschaft Uniterre sagt: «Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Landarbeiterinnen und -arbeiter sind katastrophal. In den meisten Fällen sind die Kontrollen nichts wert. Politik und Polizei schauen weg, weil die Landwirtschaft ein immenser Wirtschaftsfaktor ist.» Und die Schweizer Grossverteiler verdienten viel zu gut an der Billigware, um genau hinzuschauen.
Dabei erhält Europas Landwirtschaft jährlich 60 Milliarden Euro aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU, dem grössten Subventionspool der Welt. Mit dem Geld werden Bäuerinnen und Bauern unterstützt und die Entwicklung ländlicher Gebiete gefördert. Doch praktisch nichts davon landet bei den Erntehelfenden, ihre Rechte werden in der Gemeinsamen Agrarpolitik nicht mal erwähnt.
Nicaragua, 19. August 2020: Eleazar Blandóns Familie wartet. Auf die Ermittlungsergebnisse der spanischen Polizei. Wartet, bis sie endlich genügend Geld gesammelt hat für die Heimführung der Leiche. Sie wartet darauf, dass der Flughafen in der Hauptstadt Managua wieder offen ist. Er ist geschlossen wegen Corona. «Wir hatten so viele Träume», schreibt Blandóns Frau Karen Altamirano. Wieder via Whatsapp. Ein paar Tage vor seinem Tod habe Blandón ihr noch gesagt, er komme bald zurück, um sie zu umarmen. Seine Mutter habe genügend Geld zusammengespart und ihm das Rückflugticket gekauft. «Und jetzt kommt Eleazar im Sarg nach Hause.»