Immer mehr gegensätzliche Interessen im Arbeitgeberlager:
Das «Zentralkomitee des Kapitals» lahmt

Der Wirtschaftsdach­verband Economiesuisse hat einen neuen Chef: Pharma-Mann Christoph Mäder. Er müsste die zerstrittene Organisation jetzt aus der Hardliner-Sackgasse führen, analysiert work-Kolumnist und Ex-Unia-Co-Präsident Andreas Rieger. Er verfolgt die Entwicklung im Arbeitgeberlager seit Jahrzehnten.

BEGOSSEN, VERDROSSEN: Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt, Gewerbe­verbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler und der neue Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder (v. l.) vor roter Wand mit Leuchter. (Foto: Keystone)

work: Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse hat grad einen neuen Präsidenten bekommen: Christoph Mäder. Wer ist Mäder, und geht es mit dem Spitzen­verband nun wieder bergauf?
Andreas Rieger: Das muss sich weisen. Christoph Mäder stammt aus der Chemie- und Pharmabranche, die im Arbeitgeberlager jetzt immer mehr dominiert. Tatsächlich verlor Economiesuisse in den letzten Jahren an Bedeutung. Das hat aber nicht nur mit personellen Fehlgriffen, sondern auch mit strukturellen Gründen zu tun.

Andreas Rieger, Ex-Unia-Co-Chef.

Nämlich?
Im Unternehmerlager haben sich die Interessenskonflikte verstärkt. Es gibt starke Gegensätze zwischen Binnenmarkt und Weltmarkt, Finanz- und Werkplatz, zwischen Managern mit und solchen ohne Verwurzelung in der Schweiz. Oder zwischen sozialpartnerschaftlich orientierten Unternehmern und Hardlinern, die auf Konfrontation gehen. Auch halten sich viele Firmen nur noch an die Interessen des eigenen Aktionariats. Entsprechend wenig zählt dann die politische Abstimmung mit einem Dachverband. Schon bald ist der einzige gemeinsame Nenner, wo es keinen Streit unter den Arbeitgebern gibt, der Kampf gegen mehr Steuern und gegen Forderungen der Linken.

Kürzlich gingen Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl und Gewerbeverbandsdirektor Ulrich Bigler sogar öffentlich wegen der Konzerninitiative aufeinander los. Ein Fanal für die grosse Uneinigkeit?
In gewissem Sinne schon. Der Economiesuisse gelingt es immer weniger, die Interessen im Lager der ­Arbeitgeber zu bündeln und politisch durchzusetzen. Sie verlor auch wichtige Abstimmungen: So die Unternehmenssteuerreform III oder die Masseneinwanderungsinitiative. In der Europapolitik spielt die Economiesuisse nur noch die dritte Geige.

Man wollte die Gewerkschaften links liegen­lassen und mit der Blocher-SVP kutschieren …

Müssen wir sie bald abschreiben?
Das wäre falsch. In vielen Fragen bleibt Economiesuisse eine starke Lobbykraft in Bundesbern. Und keine andere Organisation kann so viel Geld für Kampagnen mobilisieren. Weigert sich die Economiesuisse einmal zu zahlen, entdeckt man, wie arm die bürgerlichen Parteien sind. Aber ein «Zentralkomitee des Kapitals» ist Economie­suisse nicht mehr.

Was heisst das?
Economiesuisse ist ja die Nachfolgerin des mächtigen Schweizerischen Industrie- und Handelsvereins, des sogenannten «Vororts». In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg kam diesem eine Schlüsselrolle zu. Sein Direktor spielte faktisch die Rolle eines achten Bundesrats. Und die dominierende Alliance war jene zwischen der Industrie und den Banken. In den 1990er Jahren übernahmen dann die Banken die Führung. UBS-Chef Marcel Ospel schwang sich zum starken Mann auf. Er brüstete sich, er müsse nur zum Telefon greifen, um einen Bundesrat zu sprechen. Und er war 2003 bei der Wahl des Duos Blocher und Merz tatsächlich Bundesratsmacher.

Gegen die neue Dominanz der Finanzmanager gab es doch aber auch Widerstand, oder?
Ja, und zwar durch die Vertreter der Realwirtschaft, Maschinenbau, Uhren und Bau. Diese drohten 2005/06 sogar mit dem Austritt aus der Economie­suisse. Im Gefolge der Finanzkrise von 2008 verloren die Banken dann an Gewicht. Ospel musste abtreten. Aber an der Arroganz der Grosskonzerne änderte sich nichts. Die Quittung kam dann 2013 mit der bösen Niederlage von Economiesuisse in der Volksabstimmung zur Abzockerinitiative. Dies trotz einer Gegenkampagne von 8 Millionen Franken.

Damals gaben die Hardliner den Ton an. Konnten sie sich durch­setzen?
Sie glaubten, sich mit vielen Millionen und ohne Konzessionen durchsetzen zu können. Unter ihnen auch der Präsident des Arbeitgeberverbands, Valentin Vogt. Dieser wollte die Gewerkschaften links liegenlassen und mit der SVP kutschieren, zum Beispiel bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Das führte aber nur in eine Sackgasse. Jetzt ist Vogt wieder vermehrt zum Gespräch mit den Gewerkschaften bereit. So werden Fortschritte wie zum Beispiel die Überbrückungsrente für Ausgesteuerte ältere Arbeitnehmende möglich.

… aber das führte nur in eine Sack­gasse.

Und was ist mit dem Gewerbe­verband?
Er spielte in der Vergangenheit die Rolle eines Rammbocks gegen fortschrittliche Projekte. Dies, obwohl sein wirtschaftliches Gewicht bescheiden ist. Seit 2008 versucht Direktor Hans-Ulrich Bigler, den Gewerbeverband zur Festung der «Kleinen», der KMU, gegen die «Grossen», die Konzerne, zu machen. Was jedoch oft misslingt. Mit der No-Billag-Initiative und einigen Referenden verrannte sich Bigler in Themen, die mit dem Gewerbe wenig zu tun hatten. Er profiliert sich vor allem, weil die Economiesuisse schwach ist.

Wer dominiert denn heute das Arbeitgeberlager: die FDP oder die SVP?
Hundert Jahre lang waren fast alle Wirtschaftsverbände vom Freisinn dominiert. SVP-Chef Christoph Blocher wollte damit Schluss machen und die «weichsinnigen» Verbände zu kompromisslosen Instrumenten gegen die ­Gewerkschaften und für die Profitinter­essen umbauen. Aber er scheiterte ­damit. Zum einen kam die Konfronta­tionspolitik mit der EU bei den Arbeitgebern schlecht an. Zum andern sind in den Branchen mit Gesamtarbeitsverträgen eben immer wieder Kompromisse nötig, gerade auch in den Kantonen. Heute verliert die SVP selbst im Gewerbe an Einfluss. Auch handeln heute viele Arbeitgeberverbände pragmatischer und weniger ideologisch. Es dämmert ihnen, dass im organisierten Kapitalismus Regulierungen nötig und Kompromisse auch mit den Gewerkschaften unausweichlich sind.


GewerkschaftenKämpfen gelernt

Der Angriff der Arbeitgeber auf die Sozialpartnerschaft misslang, weil die Gewerkschaften ­wieder kampfbereiter und referendums­fähiger geworden sind.

Mitte der 1990er Jahre begann die Grossoffensive der Arbeitgeber. Ihr Credo hiess deregulieren, privatisieren und liberalisieren. Und das wollten sie gegen die Gewerkschaften durchsetzen. Ade Sozialpartnerschaft, ade Gesamtarbeitsverträge! Doch nach zwei Jahrzehnten zeigt sich: Diese ideologische Hardliner-Strategie führte in die Sackgasse (siehe Interview links).

Seit den nuller Jahren gibt es wieder mehr Streiks und Lohnkämpfe.

GESTOPPT

Der neoliberale Angriff gelang zwar in einzelnen Gesamtarbeitsverträgen sowie in einigen Bestimmungen des Arbeitsgesetzes. Da wurde dereguliert. Ausserdem blockierte er auch einen grösseren Ausbau der Sozialversicherungen. Zu mehr reichte es aber nicht, sagt Ex-Unia-Co-Präsident Andreas Rieger, der die Entwicklung der Arbeitgeberverbände seit Jahrzehnten verfolgt. Dass der Durchmarsch der Hardliner misslang, sei auch das Verdienst der Gewerkschaften. Rieger: «Diese haben nach langen Jahren des absoluten Arbeitsfriedens wieder zu kämpfen gelernt.» Und tatsächlich: Seit den nuller Jahren wehren sich die Arbeitnehmenden vermehrt für ihre Anliegen: Es gibt mehr Lohnkämpfe, Streiks und Aktionen in den Betrieben. Und es gibt auch wieder ­Referenden und Abstimmungskampagnen der Gewerkschaften auf dem ­politischen Parkett. Eine ­führende Rolle in diesem Prozess spielte und spielt die Unia. Gerade deshalb ist sie rechten Hardlinern ein Dorn im Auge.

SCHWACHSTELLE

Rieger ortet noch einen ­weiteren Grund, weshalb die antigewerkschaftlichen Ideologen unter den Arbeitgebern letztlich ihre Ziele nicht erreichten. So verfügen viele Arbeitgeberverbände über Dienstleistungen, die direkt mit Gesamtarbeitsverträgen oder mit den Sozialversicherungen zusammenhängen, insbesondere mit der AHV und den Kinderzulagen. Dies lässt sie vorsichtig werden. Selbstkritisch vermerkt Rieger aber auch, dass sich die Gewerkschaften etwa bei der beruflichen Weiterbildung von den Arbeitgebern verdrängen liessen. Rieger: «Den Arbeitnehmerverbänden verbleiben fast nur noch die Zahlstellen der Arbeitslosenversicherung.»

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