Schon wieder müssen die Mitarbeitenden in der Pflege, im Verkauf und in der Logistik wegen Corona mehr leisten. Jetzt fordern sie eine Corona-Prämie und gehen auf die Strasse.
PFLEGE MIT HERZBLUT: Damit das Gesundheitssystem nicht krank wird. (Illustration: ZVG)
Sie sind für uns da und geben alles: die Frauen und Männer in den Gesundheitsberufen. Ihrem grossen Einsatz ist es zu verdanken, dass im Frühling das Gesundheitssystem nicht zusammenbrach. Und seit die Coronazahlen schon wieder explodieren, müssen sie wieder hart ran. Am 15. Oktober schlug das Spital Schwyz Alarm: 22 von 25 Betten auf der Isolationsstation waren belegt, und jeder zweite Coronatest im Spital ist positiv. Dabei waren viele Pflegerinnen und Pfleger schon vor Corona am Limit: Nur gerade 11 Prozent hatten genügend Zeit für die Patientinnen und Patienten. Das ergab eine Unia-Umfrage 2019. Und nur 20 Prozent hatten vor, bis zur Pensionierung in der Pflege zu arbeiten.
AM LIMIT
Jetzt reicht’s, sagen sich viele im Gesundheitswesen. Sie fordern mehr Wertschätzung. Deshalb gehen sie in der kommenden Woche auf die Strasse. Die Gewerkschaften Syna und VPOD, der Pflegeverband SBK und die Unia rufen zu einer Protestwoche auf. Höhepunkt ist eine gemeinsame Überraschungsaktion auf dem Bundesplatz am 31. Oktober (anmelden bis 23. Oktober unter rebrand.ly/aktion31).
Ihre Forderungen: eine Corona-Prämie von mindestens einem Monatslohn, mehr Mitsprache und bessere Arbeitsbedingungen. Denn obwohl Corona zeigt, dass die Gesundheitsberufe «systemrelevant» sind, weigert sich die Politik, über substantielle Verbesserungen zu diskutieren. Lukas Engelberger, Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren, sagte gegenüber dem «Tages-Anzeiger», er habe zwar Verständnis für die Forderung nach höheren Löhnen, er müsse «das Pflegepersonal aber vor Illusionen warnen. Die Personalkosten insgesamt dürfen nicht weiter ansteigen.»
Und eine kürzliche Umfrage der «Sonntagszeitung» unter Spitälern brachte zutage: Kein einziges sieht für 2021 eine flächendeckende Lohnerhöhung vor. Bei den Altersheimen sieht’s nicht besser aus. Die beiden grössten Arbeitgeber in der Langzeitpflege, Tertianum und Senevita, haben zwar die Löhne 2021 noch nicht beschlossen. Aber beide teilen auf Anfrage mit: «Wir orientieren uns an den Vorgaben der Kantone zur Pflegefinanzierung.» Also an Batzenklemmern wie Engelberger.
CORONA-ESSENSGUTSCHEIN
Das macht die Pflegenden hässig. Pierre-André Wagner vom SBK sagt, diese seien «masslos enttäuscht», dass ihr Einsatz nicht gewürdigt werde: «Die Bevölkerung hat für uns geklatscht, aber von der Politik bekommen wir einen Chlapf.»
Mit ganz wenigen Ausnahmen hätten die Pflegenden bisher nicht einmal eine Covid-Prämie erhalten. Er berichtet von einer Klinik, in der die Leitung die Mitarbeitenden mit einem 10-Franken-Essensgutschein fürs Personalrestaurant abgespeist habe. Für Ärger unter der Belegschaft sorgte auch das Berner Inselspital: Hier gab’s als Dank für den Corona-Einsatz einen Kugelschreiber mit der Aufschrift «we care» (wir kümmern uns). Unter den Pflegenden verspottet als «who cares?» (wen kümmert’s?).
Mehr Anerkennung und mehr Lohn fordern auch die Verkäuferinnen und die Mitarbeiter in der Logistik, auch ihre Arbeit ist «systemrelevant». Und auch ihre Löhne sind tief, oft herrscht Arbeit auf Abruf, viele können nur in einem kleinen Pensum oder im Stundenlohn arbeiten. Am 31. Oktober organisiert die Unia deshalb dezentral Protestaktionen in diesen Branchen (solidaritaet.unia.ch/aktionstag). Yolande Peisl von der Unia verrät jetzt schon die Botschaft des Aktionstages: «Wer so einen wichtigen Job macht, muss auch in Würde davon leben können.»
Mehr Sonntagsarbeit: Berner Referendum
Neu 4 statt wie bisher 2 Sonntagsverkäufe pro Jahr will das rechtsdominierte Berner Kantonsparlament allen im Verkauf zumuten.
SOLIDARISCH. Gegen diese Verschlechterung der Arbeitsbedingungen ausgerechnet in Coronazeiten haben die Gewerkschaften das Referendum ergriffen. Anne Rubin, Chefin Detailhandel bei der Unia, sagt, das Sammeln der Unterschriften sei «sehr gut» gelaufen. Und freut sich: «Das zeigt uns, dass die Bevölkerung mit dem Verkaufspersonal solidarisch ist.»