Konzernverantwortung:
«Sie lassen uns hier langsam sterben»

Die Kleinbauern in Espinar, Peru, hoffen auf ein Ja zur Konzernverantwortung am 29. November. Der Zuger Rohstoffmulti ­Glencore macht sie krank. ­work war vor Ort.

UNMENSCHLICHER RAUBBAU: Besonders Kinder leiden wegen des Bergbaus in ganz Peru häufig an Schwermetallvergiftungen. (Foto: Keystone)

Die Kleinbäuerin Carmen Chambi (47) lebt mit ihrer Familie in der Provinz Espinar, Peru. Die Bergbaugesellschaft Antapaccay baut dort für den Schweizer Rohstoffmulti Glencore Kupfer ab. Dabei werden 17 verschiedene Schwermetalle freigesetzt, die Gewässer und Böden verschmutzen und bei den Menschen zu Organschäden, Lungen- und Prostatakrebs, Osteoporose und Bluthochdruck führen. Chambi sagt: «Sie lassen uns hier langsam sterben, und weder der Staat noch der Konzern übernehmen Verantwortung für unsere Situation.» Wie Chambis Kinder sind sehr viele Kinder in Espinar schon seit der Geburt schwer krank. Chambi sagt: «Unsere Kinder benötigen regelmässig Medikamente und medizinische Behandlung, für deren Kosten wir irgendwie aufkommen müssen.»

Glencore weigert sich, die in einem Rahmenabkommen festgelegten Unterstützungsgelder auszuzahlen. Deshalb haben die Bewohnerinnen und Bewohner von Espinar am 15. Juli 2020 einen unbefristeten Protest ausgerufen. Sie blockierten strategische Hauptverkehrsachsen und veranstalteten friedliche Protestmärsche. Die staatlichen Sicherheitskräfte gingen jedoch mit Gewalt gegen die Demonstrierenden vor und schossen in die Menge. Nur durch Glück wurde diesmal – anders als bei früheren Protesten – niemand getötet. Auch der Journalist Vidal Merma (37), der die Lage in Espinar seit 2005 dokumentiert, geriet in Lebensgefahr. «Die Polizei hat auf mich geschossen, weil ich gefilmt und fotografiert habe, doch zum Glück hat mich die Kugel nicht getroffen. In Peru gibt es keine Pressefreiheit. Die Wahrheit zu berichten ist zu einem Delikt geworden.»

«Vor einem Gericht in der Schweiz könnten wir auf einen fairen Prozess hoffen.»

GLENCORE BEZAHLT NICHT

Die Proteste im Juli 2020 standen auch im Zusammenhang mit der Coronakrise. Während fast sieben Monaten war das Land im Lockdown. Für viele Menschen fiel von einem Tag auf den anderen das gesamte Einkommen weg. Die Regierung versprach Hilfspakete und finanzielle Unterstützung, aber gerade in ländlichen Gebieten kam diese oft nicht an. Deysi Arapa Vargas (22) hat die Proteste mitorganisiert. Sie ist Vorstandsmitglied der Jugendorganisation Fujek. Vargas sagt: «Die Situation in Espinar war wirklich besorgniserregend, viele Menschen hängten eine weisse Fahne aus dem Fenster, was bedeutete, dass sie Hilfe brauchten, Essen oder Geld.» Deshalb hätten sie von Glencore die Auszahlung der vereinbarten Unterstützungsgelder gefordert. Doch Glencore lehnte die Forderung ab und verteilte stattdessen Essensgutscheine – allerdings erst Monate später. Doch die meisten Leute konnten diese Gutscheine gar nicht einlösen, weil sie auf dem lokalen Markt, in kleinen Läden oder bei Strassenhändlerinnen und -händlern einkaufen.

«Natürlich sind wir mit diesem Ausgang nicht wirklich zufrieden», sagt Aktivistin Vargas, «aber gerade bei den Jugendlichen hat die massive Polizeigewalt sehr viel Angst ausgelöst. Viele sind traumatisiert und brauchten psychologische Unterstützung, doch die Staatsanwaltschaft hat sich nicht darum bemüht, ihre Aussagen aufzunehmen oder sich sonst irgendwie um sie zu kümmern. Stattdessen haben mir einige Kollegen erzählt, dass sie von der Polizei eingeschüchtert worden seien, damit sie keine Anzeige erstatteten.»

Carmen Chambi ist eine von vielen, die in Espinar gegen die Machenschaften des Schweizer Multis Glencore kämpfen. (Foto: ZVG)

KONZERNE LÜGEN

Metalle wie Gold, Kupfer und Zink, die Glencore auf Kosten von Menschen und Umwelt in Espinar abbaut, landen in unseren Handys, Computern oder Batterien. Die Schweiz ist nebst nebst China, Japan und den USA eine der wichtigsten Abnehmerinnen von Metallen aus Peru – nur schon deshalb ist es an der Zeit, dass Konzerne wie Glencore Verantwortung übernehmen für den irreparablen Schaden, den sie verursachen. Genau dies fordert die Konzernverantwortungsinitiative, über die wir am 29. November abstimmen.

Oscar Mollohuanca (59) ist der ehemalige Bürgermeister von Espinar. Er sagt: «Diese Initiative könnte für ein bisschen mehr Menschlichkeit sorgen». Mollohuanca drohen wegen seiner Teilnahme an den Protesten 20 Jahre Gefängnis und eine Busse von mehr als einer Million Franken. «Die Justiz hier in Peru ist eine Verbündete der Bergbaukonzerne. Wenn wir die Chance hätten, an ein Gericht in der Schweiz zu gelangen, könnten wir dar­auf hoffen, von Richterinnen und Richtern beurteilt zu werden, die unabhängig und aufgrund von Beweisen urteilen – und Beweise gibt es zur Genüge.» Mollohuanca ist überzeugt, dass die Konzerne ihre Vorgehenswei-se nicht verändern, solange es keinen echten politischen Wandel gibt. «Die Konzerne werden weiter lügen und internationale Kampa­gnen machen, in denen sie behaupten, dass hier alles bestens laufe, dass man mit den indigenen Gemeinden harmonisch zusammenarbeite und keine Umweltverschmutzung stattfinde.»

*  Nicole Maron Oscamayta ist eine Schweizer Journalistin und Buchautorin. Seit 2017 lebt sie in Peru und Bolivien. 

Das will die Konzern-Initative: Firmen haftbar machen

Die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) will, dass Schweizer Konzerne für ihre Schäden im Ausland haften. Sie müssen für Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung ihrer Tochterfirmen geradestehen. Betroffene sollen in der Schweiz Klage einreichen und Wiedergutmachung verlangen können.

UNIA SAGT JA. Einfache Zulieferer sind von der Haftung ausgeschlossen. Ebenso ausgenommen sind KMU, ausser sie seien im Rohstoffhandel tätig, der als Hochrisikosektor gilt. In andern Ländern wie Grossbritannien oder Kanada existieren bereits Haftungsklauseln für Konzerne, wie sie jetzt die Konzernverantwortungsinitiative für die Schweiz fordert. Sie wurde 2016 von einem gros­sen Bündnis von Entwicklungs-, Menschenrechts- und kirchlichen Organisationen eingereicht. Die Unia unterstützt das Volksbegehren und ruft zu einem Ja am 29. November auf. (rh)


Krawall-Videos und ein eingeflogener Minister Nur nicht über Menschenrechte sprechen!

Die Gegnerinnen und Gegner der Konzernver­antwortungsinitiative sind nervös. Kurz vor dem ­Abstimmungstermin versuchen sie alles, um vom Thema abzulenken.

HEFTIGER ABSTIMMUNGSKAMPF. Weil die Konzernverantwortungsinitiative in der Bevölkerung gut ankommt, ist den Gegnerinnen und Gegnern jedes Mittel recht. (Foto: Keystone)

Im Berner Luxushotel Bellevue gab ­Harouna Kaboré seine Abstimmungsempfehlung ab: Die Schweizerinnen und Schweizer sollten die Konzernverantwortungs­initiative (Kovi)ablehnen. Kaboré ist Handelsminister von Burkina Faso. Das westafrikanische Land liegt auf Rang 85 im Korruptionsindex von Transparency International. Bei einem Ja zur Initiative, so der Minister, verliere die Wirtschaft den Anreiz, in seinem Land zu investieren.

Den Minister eingeflogen und den Anlass organisiert hatte die PR-Agentur Furrerhugi im Auftrag der Initiativgegner, mit freundlicher Mithilfe von Isabelle Chevalley, Nationalrätin und Vizepräsidentin der Grünliberalen. Sie pflegt enge Beziehungen zur Elite von Burkina Faso, bei Besuchen im Land lässt sie sich gern in Staatskarossen umherfahren. Die gleiche Agentur ist auch für die Propaganda-Website guter-punkt.ch verantwortlich, die einen «Faktencheck» zur Kovi verspricht, in Wahrheit aber nur einseitige ­Informationen liefert.

Allerdings widersprechen Fachleute Minister Kaboré. Und zwar unisono. Etwa die Schweizer Entwicklungsökonominnen in einer gemeinsamen Stellungnahme: Ja, die Privatwirtschaft sei wichtig für die Entwicklung – aber nur, wenn sie grundlegende Menschenrechte gewährleiste.

«Die Gegner sind halt sehr nervös.»

SCHLAGWORTE STATT ARGUMENTE. Propaganda der übelsten Sorte bieten auch Videos, die in den letzten Tagen und Wochen auf sozialen Medien kursierten. «Welche Kreise unterstützen die Unternehmens-Verantwortungs-Initiative?» fragt eines davon. Und zeigt Gewaltbilder: vermummte Gestalten, die Molotow-Cocktails werfen, umgestürzte und brennende Autos, untermalt von bedrohlicher Musik. «Und solche linken Krawallanten wollen uns jetzt vorschreiben, wie die Schweizer Wirtschaft zu funktionieren habe!» Zum Anliegen der Initiative: kein Wort.

SIMPLE TAKTIK. Für Tom Cassee, Sprecher des Initiativkomitees, ist klar: «Die Gegner der Initiative wollen alles, nur nicht über die Menschenrechte sprechen.» Die Taktik: die Leute verunsichern, anstatt sich mit dem Inhalt der Vorlage zu befassen. Cassee sagt, die Konzerne seien nervös, da laut Umfragen eine Mehrheit für die Initiative sei: «Jetzt ist ihnen jedes Mittel recht.» (che)

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