Goht s no? Bundesgericht erlaubt der Immobilienlobby höhere Renditen
Explodieren jetzt die Mieten?

Ein neues Urteil des Bundesgerichtes löst weitherum Kopfschütteln aus. Denn es könnte zu massiv höheren ­Mieten führen.

UNERHÖRT: Das Bundesgericht legt fest, dass Immobilienbesitzer und -besitzerinnen neu noch mehr Rendite aus den Mieterinnen und Mietern rauspressen dürfen. (Foto: Keystone)

Schlechter hätte das Timing nicht sein können: Ausgerechnet jetzt kommt das Bundesgericht mit einem Mieturteil daher, das böse Folgen haben könnte. Ausgerechnet jetzt, wo Familien in den Städten unter hohen Mieten ächzen und wo Geschäftsbesitzer wegen Corona nicht mehr wissen, wie sie die Miete bezahlen sollen (siehe Text unten). Worum geht es?

«Das Bundesgericht hat einen politischen Entscheid gefällt, das
geht nicht!»

NEUE BERECHNUNG

Das Bundesgericht hatte einen Streitfall aus der Waadt zu beurteilen. Es ging um missbräuchliche Mieten in der Siedlung einer Pensionskasse. Gemäss Gesetz sind Mieten unter anderem dann missbräuchlich, wenn der Vermieter einen übersetzten Profit einstreicht. Dies ist dann der Fall, wenn die Nettorendite höher liegt als ein halbes Prozent über dem Referenzzinssatz für Erst­hypotheken. Dieser Satz beträgt derzeit 1,25 Prozent. Damit sind alle Mieten mit einer Nettorendite von 1,75 Prozent und mehr rechtswidrig.

So auch die Mieten bei der Waadtländer Pensionskasse. Dort kostet eine Vierzimmerwohnung 2140 Franken im Monat. Die Rendite, welche die Pensionskasse aus dieser Siedlung zieht, liegt über dem gesetzlich Erlaubten. Sie hätte die Mieten massiv senken müssen. Doch das Bundesgericht fand nun, dass dies nicht gehe. Und so führte es mit seinem Urteil vom 26. Oktober 2020 Knall auf Fall eine neue Berechnung des zulässigen Mietzinses aufgrund der Nettorendite ein. Und die lautet so: Solange der Referenzzinssatz unter zwei Prozent liegt, ist neu eine Nettorendite erlaubt, die um bis zu zwei Prozent über diesem Satz liegt. Und nicht nur ein halbes Prozent wie bisher. Somit sind auf einen Schlag alle Mieten legal, die eine Rendite von bis zu 3,25 Prozent (1,25 Prozent plus 2 Prozent) ermöglichen.

MIETEN VERDOPPELN?

«Eine Katastrophe!» kommentiert Mieterverbandspräsident und Genfer SP-Ständerat Carlo Sommaruga diesen Entscheid. Er hat ausgerechnet, dass diese Neuerung beinahe zu einer Ver­doppelung der Mieten führen könnte. Er rechnet vor: Bei einem Mehrfamilienhaus mit vier Wohnungen beträgt die zulässige Miete pro Wohnung nach bisheriger Rechtslage 1344 Franken im Monat. Sind nun aber statt 1,75 Prozent plötzlich 3,25 Prozent Nettorendite möglich, so wären monatliche Mieten von 1979 Franken zulässig. Sommaruga befürchtet aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichts eine Flut von Miet­erhöhungen. «Dabei haben die Immobilienbesitzer in den letzten Jahren schon massive Profite auf dem Buckel der Mietenden erwirtschaftet», kritisiert der Mieteranwalt.

Unser laxes Mietrecht schützt die in Miete lebende Bevölkerung nicht ausreichend vor dem Renditehunger der Immobilienwirtschaft. Über das Urteil aus Lausanne zeigen sich viele erstaunt. Argumentiert doch das Bundesgericht in der Begründung nicht nur juristisch, sondern auch politisch. Es verweist nämlich darauf, dass ohnehin eine Revision der Mietzinsregeln bevorstehe. Tatsächlich liegt ein Vorstoss der Immobi­lienlobby auf dem Tisch des ­Parlaments: FDP-Nationalrat Olivier Feller verlangt eine Erhöhung der Rendite für Immobilienbesitzerinnen und Vermieter um zwei Prozent – und zwar generell und nicht bloss, wie es das Bundesgericht jetzt festgelegt hat, bei einem Referenzzinssatz von unter zwei Prozent. Daher kritisiert Sommaruga: «Das Bundesgericht hat einen politischen Entscheid gefällt, das geht nicht!»

Der Mieterverband hat bereits Widerstand angekündigt. Generalsekretärin Natalie Imboden sagt: «Falls das Parlament den Vorstoss durchwinkt, werden wir das Referendum ergreifen.» Das ist vorderhand nicht nötig. Der Ständerat hat in der Wintersession den Bundesrat beauftragt, eine «ausgewogene» Mietrechtsrevision vorzulegen.

Das Urteil: rebrand.ly/mieten-urteil


CoronakriseVermiterlobby schlägt zu

Kein Mieterlass für Geschäftsbesitzerinnen und -besitzer, die wegen ­Corona unter Druck sind: Das Parlament hat einen entsprechenden Plan in der Wintersession versenkt. Er sah vor, dass Läden und Restaurants für die Zeit des Lockdowns von April bis Juni nur 40 Prozent der Miete zahlen müssten. 60 Prozent hätten die Vermie­terinnen und Vermieter tragen müssen.

Dagegen lief die mächtige Vermieterlobby Sturm. Sie wollte unbedingt verhindern, dass der Staat in ihre Profite dreinredet. Dabei hätten alle Geschäftsmietenden schon rein rechtlich gesehen ­einen Anspruch auf Mietreduktion gehabt. Wenn sie die Mietsache nicht vertrags­gemäss nutzen können. Nur müssten sie diesen selber mühsam vor Gericht durchsetzen.

BASLER MODELL. Es bleiben somit nur frei­willige Lösungen. Beispielsweise das Basler Modell: Dort schiesst der Kanton einen Drittel der Miete hinzu, wenn der Vermieter ebenfalls einen Drittel selber trägt. In Zürich soll dieses Drittelsmodell ebenfalls zum Zug kommen und Wirte und ­Ladenbesitzerinnen ­entlasten.

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