«Republik» hat innert eines Monats mehr als drei Millionen Franken Startkapital gesammelt – das ist Weltrekord. An der Arbeit ist das Team schon lange.
Clara Vuillemin (25) hat die Informatik der «Republik» fest im Griff. (Foto: Jasmin Frei)
Zuletzt habe sie keinen klaren Gedanken mehr fassen können, die Nervosität sei riesig gewesen, erzählt Clara Vuillemin. Die 25jährige ist beim Medienprojekt «Republik» für die Informatik verantwortlich. Doch schon nach wenigen Stunden war klar, dass alles gut kommt: Ende April startete das Team mit einer Crowdfunding-Kampagne. Gesucht waren 3000 Abonnentinnen und Abonnenten, die bereit waren, insgesamt 750 000 Franken Vorschuss für ein Abo zu zahlen. Erst dann würden auch Investorinnen und Investoren grössere Beiträge sprechen. Es klappte – und wie!
In nur zehn Stunden sammelte «Republik» eine Million Franken und 3800 Abonnenten. Am zweiten Tag brach das Team den Weltrekord für journalistisches Crowdfunding. Vier Wochen später, am Ende der Kampagne, haben knapp 14 000 Abonnenten weit über 3 Millionen Franken bezahlt. Die Idee: ein neues digitales Magazin. Die Strategie: in Journalismus investieren statt in Verwaltungsratsboni wie bei den grossen Verlagshäusern. Die Methode: Leserinnen und Leser werden über das Abo zu Genossenschaftern und damit zu Mitverlegern. Clara Vuillemin: «Zum Glück hat es geklappt. Niemand vom Team hatte einen Ausweichplan.»
INPUTS UND TIPPS. Gerade hat sie mehrere Stunden lang «First-Level-Support» gemacht, also die Anliegen und Mails der neuen Verlegerinnen und Verleger bearbeitet. Darunter fallen das Lösen von Problemen beim Bezahlen oder beim Login genauso wie auch das Lesen von Inputs für Kampagnen und Geheimtipps für investigative Geschichten. Vuillemin: «Plötzlich merke ich, dass hinter den 13 000, die ein Vorschussabo bezahlt haben, nicht einfach Leserinnen, Nutzer oder Kundinnen stecken. Es sind 13 000 Menschen, die sich wirklich als Verleger verstehen, die mitdenken wollen.»
FORM UND INHALT. Clara Vuillemins Stellenbeschrieb lautet «Head of IT», Chefin für Informatik. Sie meint zwar, das neunköpfige Team sei nicht hierarchisch organisiert: «Ich bin einfach verantwortlich für diesen zentralen Bereich und sitze in der Geschäftsleitung. Aber meine Autorität ergibt sich aus der Rolle, nicht aus dem Titel.»
Denn die ist entscheidend: «Republik» prüft gerade, wie viel Technik im eigenen Haus entwickelt werden soll. Vuillemin erklärt: «Wir brauchen viel interne Kompetenz. Auch, um Form und Inhalt bestens verknüpfen zu können.» Und so gibt es für Clara Vuillemin und ihr Team im nächsten halben Jahr einige Bereiche rund ums Produkt «Republik», mit denen sie sich auseinandersetzen müssen: mit der Onlineplattform, auf der später das Magazin erscheinen wird. Mit dem interaktiven Bereich, wo Leserinnen und Leser mitdiskutieren können. Vielleicht mit einer App für Handys.
Allerdings dreht sich Clara Vuillemins Job nicht nur ums Entwickeln: «Ich bin auch die, welche gute Ideen anzweifelt und manchmal mit dem Rotstift zusammenstreicht.» Für alles reicht das Geld eben doch nicht. Sie leitet Workshops, nimmt an Sitzungen und Gesprächen teil, zeichnet und denkt nach. Die so erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne, die das Team selber lanciert hat statt auf einer der bekannten Plattformen, sei ein erster Testlauf gewesen. «Wir wollten herausfinden, ob unser Storytelling, die Art, wie wir unsere Geschichte erzählen, funktioniert», sagt die 25jährige. Das hat es nicht zuletzt, weil das Team bei der ersten gesammelten Million versprach, die Zahl der Ausbildungsplätze für Journalistinnen und Journalisten auf vier zu verdoppeln. Weil es mit der zweiten Million eine zusätzliche Redaktionsstelle schaffen will und mit der dritten vertiefte Recherchen.
Vorbereitungen: Das Team der «Republik» mobilisiert und organisiert. Die Erwartungen der über 12 000 Verlegerinnen und Verleger sind gross. (Foto: Jasmin Frei)
KREUZ UND QUER. Clara Vuillemin ist keine Informatikerin, die schon als Kind Computer auseinandernahm. Damals spielte sie Theater. Sie hat ein sehr distanziertes Verhältnis zu ihrem Handy, nutzt kaum Social Media. Irgendwie rutschte sie während des Studiums rein: «Ich habe das Programmieren einfach gefühlt», sagt sie. Seither ist es ihr Beruf. Mit ihren 25 Jahren ist sie die Jüngste im «Republik»-Team. Die Kolleginnen und Kollegen würden ihr das aber nicht zu spüren geben, wohl zum ersten Mal in ihrem Berufsleben. «Es war sonst immer schwierig, meine Meinungen zu vertreten. Ich konnte ja nie mit meiner Erfahrung argumentieren.» Bei «Republik» hingegen wisse noch gar niemand, was funktionieren werde: «Wir machen etwas, was es noch nicht gibt.»
Und warum braucht es das überhaupt? Ihre Antwort sei ganz egoistisch, sagt Vuillemin: «Weil ich selber dieses Medium will.» Sie liest zwar viel Nachrichten, auch online, sie sei eine «Kreuz-und-quer-Leserin». Lange hatte sie die NZZ abonniert, heute liest sie lieber die «Zeit». «Ich mag Papier», sagt die IT-Fachfrau. Aber letztlich sei das mehr eine Gewohnheitssache, «ein Ritual.» «Republik» soll denn auch ein reines Onlinemedium sein, ungefähr eine bis drei Geschichten im Tag haben die Macherinnen und Macher bis jetzt versprochen. Viel mehr ist noch nicht bekannt.
Clara Vuillemin: Die Technikerin
Clara Vuillemin (* 1992) ist in Zürich geboren und aufgewachsen. Zweieinhalb Jahre vor der Matur brach sie das Gymnasium ab und bereitete sich alleine auf die eidgenössische Matur mit Schwerpunktfach Russisch vor. Sie schloss ein Jahr vor den ehemaligen Schulkolleginnen und -kollegen ab. Danach startete sie an der ETH Lausanne ein Studium in Maschinenbau. Während des Studiums engagierte sie sich bei den jungen Grünen. Ursprünglich wollte sie in der Waadt Lokalpolitik machen. Das ging schief: «Weil ich die Einzige ohne Angst vor Sitzungen in der Deutschschweiz war, wurde ich nach wenigen Wochen in den nationalen Vorstand gewählt.»
MOSKAU. Nach einem Jahr Maschinenbau an der ETH wechselte sie auf Elektrotechnik und studierte das letzte Jahr in Moskau. Dort belegte sie vor allem Informatikfächer und arbeitete als Journalistin bei einer deutschsprachigen Zeitung. Sie arbeitete als Entwicklerin von Apps und als IT-Managerin beim Rotpunktverlag. Vor gut einem Jahr stieg sie bei «Republik» ein, zuerst als unbezahlte Beraterin, seit Januar 2017 mit einem Arbeitsvertrag. Bei «Republik» sind alle Teammitglieder Genossenschafter mit Einheitslohn. Er liegt bei brutto 8000 Franken für 100 Prozent. Zur Frage, ob sie Hobbies habe, meint sie: «Vermutlich schon. Aber ich kann mich nicht erinnern.»