Jedes Jahr verlieren Staaten fast eine halbe Billion Franken durch Steuerflucht – und die Schweiz fördert dies auch noch. Das zeigen neue Berechnungen.
STEUERPARADIES: Die Caymans sind beliebte Inseln, um Gewinne vor dem Fiskus zu verstecken. (Foto: Getty)
Was haben Reiche und Konzerne gemeinsam? Viel Geld. Und was tun sie gerne? Sie lassen es vor dem Fiskus verschwinden. Missbrauch, Hinterziehung und Steuerflucht sind zu einem Monsterbusiness geworden. Die Zahlen im neuen Report des «Tax Justice Network» machen schwindlig. Diese internationale Nichtregierungsorganisation berechnet seit Jahren das Ausmass der Steuerflucht von multinationalen Konzernen und vermögenden Privatpersonen.
Und für 2020 sieht es so aus: Insgesamt wanderten umgerechnet 383 Milliarden Franken unversteuert in die Steueroasen dieser Welt. 220 Milliarden Dollar gehen auf Kosten von Unternehmungen. Ihr Trick heisst «Profit Shifting»: Sie verschieben ihre Gewinne gezielt dorthin, wo keine oder fast keine Steuern anfallen. Zum Beispiel auf kleine Karibikinseln wie die Cayman Islands oder Bermuda. Für den Rest von 163 Milliarden Dollar sind Reiche und Superreiche verantwortlich. Sie schleusen undeklarierte Vermögen und Einkommen in Offshore-Verstecke, wo sie nicht belangt werden können. Alles Gelder, welche die Staaten dringend benötigen. Gerade auch für die Bewältigung der Corona-Pandemie.
Die Schweiz gehört zur grossen Achse der Steuervermeidung.
Die Fachleute rechnen vor: «Global gesehen verlieren wir jedes Jahr eine Summe, die dem Jahreslohn von 34 Millionen Krankenpflegerinnen entspricht.» Wäre das Geld ordentlich versteuert statt versteckt und hinterzogen, hätten wir kein Personalproblem mehr in den Spitälern dieser Welt. Alle Menschen, so das Netzwerk, würden die Rechnung dieses horrenden Steuermissbrauchs bezahlen – nämlich durch unnötiges Leiden, zu hohe Todesraten, schlechte öffentliche Versorgung und eine wachsende Ungleichheit. «Gewinner sind die Täter und die sehr Reichen auf Kosten von uns allen.»
Dank der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) ist es nun erstmals möglich, die Steuerflucht von Unternehmen nach Staaten aufzuschlüsseln. Allerdings ohne Namen. Die Schweiz verliert demnach jedes Jahr 791 Millionen Dollar oder sieben Prozent des Steueraufkommens durch Multis, die ihre Gewinne in Steueroasen verschieben, statt sie in der Schweiz zu versteuern, wo sie erwirtschaftet wurden.
LAXE GESETZE
Doch die Schweiz ist in diesem üblen Spiel nicht Opfer, sondern vor allem Täterin. Denn sie hilft durch Steuerdumping und laxe Gesetze mit, dass sich die Internationale der Steuerhinterziehenden weiterhin schamlos bereichern kann. Das Netzwerk zählt die Schweiz zur grossen «Achse der Steuervermeidung», bestehend aus dem Vereinigten Königreich samt Übersee-Territorien, den Niederlanden und Luxemburg. Diese vier Staaten sind für ganze 55 Prozent der Steuerverluste durch Unternehmen verantwortlich.
Ist gegen dieses gigantische «Versteckis» kein Kraut gewachsen? Doch. Das Netzwerk fordert mit Blick auf die Corona-Kosten eine Vermögensabgabe sowie eine Besteuerung exzessiver Gewinne (siehe Box).
Der Report «The State of Tax Justice 2020» kann hier heruntergeladen werden (englisch): rebrand.ly/tax-justice.
Sondersteuer für Reiche
Transparenz, progressive Steuern und eine Sonderabgabe für Reiche: Diese drei Massnahmen fordert die internationale Nichtregierungsorganisation «Tax Justice Network» im Kampf gegen die globale Steuerhinterziehung durch Multis und Reiche. Gewinne müssten dort versteuert werden, wo sie anfallen. Sodann seien progressive Steuern nötig. Zur Bekämpfung der Pandemie verlangt das Netzwerk eine Sondersteuer für Reiche.
STEUERREGISTER. Zum ABC der Steuertransparenz gehörten auch ein automatischer Informationsaustausch sowie öffentliche Steuerregister. Diese müssten die wahren wirtschaftlich Berechtigten von Konten offenlegen. Schliesslich regt das Netzwerk eine Uno-Steuerkonvention an. Mehr Steuergerechtigkeit könne letztlich nur durch weltweit gültige Regeln erreicht werden.