Seit der WM-Vergabe vor zehn Jahren sind in Katar laut Zeitungsberichten 6500 Arbeitsmigranten und -migrantinnen gestorben.
LUSAIL-STADION: Hier soll der Final der WM 2022 stattfinden. (Foto: Getty)
Eigentlich möchte das Emirat Katar mit der Austragung der Fussball-WM 2022 vor allem eines: im Ausland Eindruck schinden. Doch immer wieder macht das Land mit Berichten über tote Arbeiter und «moderne Sklaverei» Schlagzeilen.
Jüngstes Beispiel: Am 23. Februar berichtete die englische Zeitung «Guardian», dass in Katar seit der WM-Vergabe vor zehn Jahren mindestens 6500 Arbeitsmigrantinnen und -migranten gestorben seien. Der Bericht stützt sich auf Regierungsangaben aus Indien, Pakistan, Nepal, Bangladesh und Sri Lanka. Jenen Ländern also, aus denen ein grosser Teil der rund 2,5 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter stammt, die den Wüstenstaat am Laufen halten. Als Haus- und Hotelangestellte, als Strassenreiniger oder Bauarbeiter. Oft unter der brennend-heissen Wüstensonne, während die rund 300’000 Einheimischen, die von Katars Ölreichtum profitieren, auch ohne Arbeit über die Runden kommen (work war vor Ort und berichtete: rebrand.ly/toedliche-sonne).
In Katar heisst es dazu: Die Todeszahlen würden – summiert über 10 Jahre und gemessen an der hohen Zahl der Migrantinnen und Migranten im Land – im «erwartbaren Bereich» liegen. Ausserdem sei die Sterberate in den letzten Jahren durch verschiedene Reformen stetig gesunken. Etwa durch mehr Arbeitssicherheit.
«Wir werden alles daransetzen, dass der Reformprozess weitergeht.»»
ERSTE REFORMEN. Dass es in diesem Bereich tatsächlich Fortschritte gegeben hat, bestätigen internationale Gewerkschaften. Vor allem für die Baustellen der WM-Stadien. Denn: Dort führen sie seit 2017 regelmässig Inspektionen durch – obwohl Gewerkschaften in Katar bis heute verboten sind. Möglich macht das ein Abkommen zwischen der Internationalen Baugewerkschaft (BHI) und dem Supreme Committee, das für den Bau der WM-Infrastruktur zuständig ist. Seit Beginn der Zusammenarbeit kam es auf den WM-Baustellen zu drei tödlichen Arbeitsunfällen. 34 weitere Stadion-Arbeiter verstarben abseits der Baustelle.
ERSTE LOCKERUNGEN. Inzwischen stellen die Gewerkschaften sogar ausserhalb der Stadien erste Verbesserungen fest. BHI-Generalsekretär Ambet E. Yuson sagt zu work: «Unsere Quellen berichten, dass viele Baustellen ihre Gesundheits- und Sicherheitsmassnahmen streng einhalten.» Ausserdem hat Katar das Arbeitsgesetz reformiert – und damit das bisherige «Kafala»-Regime gelockert, unter dem Arbeitende nicht ohne Erlaubnis ihres Chefs nach Hause reisen oder den Job wechseln durften.
Yuson sagt: «Die grösste Herausforderung ist jetzt, dass diese Reformen nun auch tatsächlich durchgesetzt werden.» Und die grosse Frage sei, ob die Fortschritte auch dann erhalten blieben, wenn der internationale Fussballzirkus wieder abgezogen sei. Für BHI-Chef Yuson ist klar: «Wir werden alles daransetzen, dass der Reformprozess weitergeht.»