Faule Sache: Zuerst reduziert der Chef seinem Koch das Pensum. Dann schickt er ihn in Kurzarbeit und stellt ihn schliesslich trotzdem auf die Strasse.
KOCH CASIMIRO: Sein Lohn sank innerhalb von zwei Monaten von 4000 Franken auf 2133 Franken. (Foto: Samuel Trümpy)
Die Idee der Kurzarbeit ist gut: In Restaurants oder anderen Betrieben, die schliessen müssen oder zu wenig Arbeit haben, übernimmt die Arbeitslosenversicherung mindestens 80 Prozent der Löhne der Mitarbeitenden. Diese behalten so ihre Stellen, und die Firma muss sich um die Lohnkosten keine Sorgen machen.
Doch beim Koch Fabien Casimiro aus Flums SG lief es nicht so. Fast zwei Jahre lang bereitete er in einem Ferien- und Seminarhotel das Frühstück zu. Zudem führte er im Haus kleine Reparaturen aus oder schaufelte Schnee, «was es halt noch zu tun gab», sagt der 33jährige. Dann, Ende Januar, stellte ihn sein Chef aus wirtschaftlichen Gründen auf die Strasse. Und dies, obwohl er kurz zuvor für seinen Mitarbeiter Kurzarbeit bewilligt bekam!
«Ich sagte mir, besser 80 Prozent Lohn als die Kündigung.»
LOHN HALBIERT
Das ist noch nicht alles. Die Geschichte fing schon im letzten Dezember an. Casimiro: «Damals fragte mich der Chef, ob ich rückwirkend auf Anfang Monat mein Pensum reduzieren könne, von 100 auf 80 Prozent.» Wegen des Coronavirus habe das Hotel weniger Gäste, es sei eine schwierige Zeit, man wolle aber kein Personal entlassen. Casimiro willigte ein, obwohl sein Lohn dadurch von 4000 Franken brutto auf 3200 sank. «Ich sagte mir, besser 80 Prozent als eine Kündigung. Ich war froh, dass ich die Stelle behalten konnte.»
Dann, am 3. Januar, kommt seine Vorgesetzte auf ihn zu – und schickt ihn nach Hause. «Sie sagte mir, ich sei ab jetzt in Kurzarbeit.» Jetzt wird Casimiro dafür bestraft, dass er einwilligte, sein Pensum zu senken. Denn die Entschädigung für Kurzarbeit stellt auf den letzten erhaltenen Lohn ab. Bei ihm also auf 3200 Franken. Die Kurzarbeitsentschädigung, mit der er jetzt auskommen muss, ist nur noch 2133 Franken im Monat. Das reiche unmöglich zum Leben, sagt Unia-Mitglied Casimiro: «Besser wäre gewesen, die Firma hätte mich gleich in Kurzarbeit geschickt. Aber ich tröstete mich damit, dass ich immerhin meine Stelle noch hatte.»
Bis zum 21. Januar. Da bekommt er ein SMS von der Vorgesetzten, er solle doch am nächsten Montag ins Hotel kommen. Er fragt zurück: «Soll ich die Arbeitskleider mitnehmen?» – «Nein», kommt die Antwort zurück. «Da wusste ich, irgendetwas ist faul.» Und tatsächlich: Er bekommt die Kündigung. Mit der Begründung, das Hotel habe aufgrund der Coronakrise wirtschaftliche Einbussen erlitten.
Fabien Casimiro sagt: «Ich war ziemlich am Boden.» Er habe den Chef gefragt, weshalb er diesen Weg gewählt habe mit der Pensenreduktion, dann der Kurzarbeit und dann trotzdem der Entlassung. «Er gab zur Antwort, er habe es wirklich probiert, eine Entlassung zu vermeiden, aber es sei wirtschaftlich nicht aufgegangen.»
BETRIEB HANDELT KOPFLOS
Angela Thiele von der Unia Ostschweiz-Graubünden kritisiert das Vorgehen des Hotels: «Das ist völlig unlogisch!» Zusätzlich zur Kurzarbeit habe ein Betrieb, der wirtschaftlich in eine schwierige Lage gerate, auch Anspruch auf eine Härtefall-Entschädigung. «Diese beiden Instrumente haben Bundesrat und Parlament extra geschaffen und ausgebaut, um Entlassungen während der Krise zu vermeiden. Es ist skandalös, wenn Firmen das nicht nutzen.»
Unia-Gastrochef Mauro Moretto sagt, Wirte und Hoteliers, die jetzt Personal entliessen, rechneten falsch (siehe Kasten rechts). Falsch gerechnet hat auch der Chef von Fabien Casimiro. Das hat Unia-Frau Thiele bei der Kontrolle der Abrechnungen festgestellt: «Die Kurzarbeitsentschädigung, die er ausbezahlt hat, ist viel zu tief. Da fehlen 550 Franken.» Casimiro hat jetzt beim Hotel interveniert, damit er den vollen Betrag bekommt.
Noch besser: Kurz vor Redaktionsschluss meldet er sich erneut bei work und sagt: «Ich habe eine neue Stelle gefunden! Morgen fange ich an.»
Unia-Mann Moretto: «Wer jetzt Leute entlässt, rechnet falsch»
Mitarbeitende entlassen, anstatt das Instrument der Kurzarbeit zu nutzen: Laut Mauro Moretto, Gastgewerbe-Verantwortlichem bei der Unia, kommt das in der Branche seit Ausbruch der Coronakrise immer wieder vor: «Die Geschichte von Fabien Casimiro ist leider kein Einzelfall.»
CHANCE FÜR WEITERBILDUNG. Einige Betriebe argumentieren, sie müssten bei Kurzarbeit weiterhin die Beiträge für AHV und Pensionskasse berappen. Die machen im Gastgewerbe nicht ganz zehn Prozent der Lohnsumme aus. Moretto hält dagegen: «Wer jetzt Personal abbaut, verliert Know-how. Nach der Krise muss eine Firma diese Leute wieder suchen und dann einarbeiten. Das kostet.» Für ihn ist deshalb klar: «Wer jetzt Leute entlässt, rechnet falsch.»
Zumal Betriebe jetzt die Möglichkeit hätten, Mitarbeitende in eine Weiterbildung zu schicken – und während der Kursdauer eine Entschädigung erhalten, die, so Moretto, fast so hoch sei wie der zu bezahlende Lohn. Dies dank der zusätzlichen Subventionen der Sozialpartner (weiterbildung-inklusive.ch). Die Aktion wurde kürzlich bis Ende 2021 verlängert.