Andreas Rieger
Vor der Pandemie gab es in der Mehrzahl der EU-Länder kräftige Reallohnerhöhungen. Vor allem in Osteuropa hatten die Arbeitenden erfreulich mehr im Portemonnaie. So stiegen die Reallöhne in Polen und in Tschechien mehrere Jahre um jeweils 4 bis 7 Prozent. Eine wichtige Rolle spielte dabei die überproportionale Erhöhung der gesetzlichen Mindestlöhne. Sie gingen von 2015 bis 2020 in Polen und Tschechien um beinahe 50 Prozent rauf!
Doch Corona bremst nun diese Entwicklung. Spanien fror den gesetzlichen Mindestlohn 2021 schlicht ein, andernorts wurde er nur wenig erhöht. Aber die Mindestlöhne in den Gesamtarbeitsverträgen und im Gesetz hatten immerhin eine stabilisierende Wirkung und verhinderten Lohnsenkungen. Nur gelten sie leider nicht für die prekär Arbeitenden, die immer mehr zunehmen. Sie haben in der Coronakrise nun weniger Arbeitsstunden, manchmal auch weniger Stundenlohn. Da wird es im Portemonnaie schnell prekär.
Kommen nach Corona wieder
Eiszeiten bei den Löhnen?
NEUE RICHTLINIEN. Die grosse Frage ist jetzt: Wie geht es nach der durch die Pandemie ausgelösten Krise weiter? Kommen wieder Eiszeiten bei den Löhnen? Und harte Sparpakete, wie es viele Finanzminister schon heute verlangen? Oder geht der positive Lohntrend nach der Corona-Unterbrechung weiter?
Etwas Hoffnung geben zwei Gesetzesprojekte, die in der EU derzeit diskutiert werden: Neu auf dem Tisch liegt nun die versprochene Richtlinie für die Gleichstellung der Frauenlöhne. Sie ist weit griffiger als die zahnlosen Bestimmungen, die das eidgenössische Parlament kürzlich beschlossen hat. Noch weiter hart gerungen wird um die Richtlinie für mehr Mindestlöhne in Europa. Sie will, dass in den EU-Ländern mit gesetzlichen und kollektivvertraglichen Mindestlöhnen Tiefstlöhne nicht mehr existieren dürfen. Und: dass sich die riesigen Lohnunterschiede zwischen Ost, West, Nord und Süd ausgleichen. Der Chef des Österreichischen Gewerkschaftsbunds, Wolfgang Katzian, fasst die Situation so zusammen: «Wir brauchen verbindliche Massnahmen, um das enorme Lohngefälle in Europa zu bekämpfen.» Denn so könne man auch das Lohndumping bremsen.
Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschaftsbewegung aktiv.