Stur wie eine Eselin
Die Wahrheit ist ja bekanntlich ein stark umworbenes, kostbares Gut. Und sieht je nach Blickwinkel sehr unterschiedlich aus.
Joe Biden schläft nicht. Kaum im Oval Office, will er auch schon die Steuern erhöhen. Das wäre dann das erste Mal seit den 1980er Jahren, dass ein US-Präsident sich das traut. Und das Beste daran: Biden will nicht die Kleinen schröpfen, sondern die Konzerne zur Kasse bitten. Er möchte die Gewinnsteuer von 21 auf 28 Prozent erhöhen. Am Schluss darf’s dann wohl ein bisschen weniger sein. Und doch wär’s ziemlich kitzlig. Verglichen mit den Steuersätzen in den Schweizer Steuerparadiesen Zug oder Nidwalden nämlich glatt eine Verdoppelung. Legen die emsigen Amis jetzt auch noch die Schweizer Steuerdumping-Sümpfe trocken (Seite 15)?
Nachdem sie schon das Begräbnis des Schweizer Steuerhinterziehungs-Geheimnisses beschleunigt hatten? Es war mal die heiligste Kuh im Schweizer Stall. Noch 2008 verkündete Bundesrat Hans-Rudolf Merz, der FDP-Kofferträger des Kapitals, der ganzen Welt: «An ihm werdet ihr euch noch die Zähne ausbeissen!» Wenige Jährchen später war es mausetot.
Biden schläft nicht.
MINUS UND PLUS. Die Schweiz ist das fünftgrösste Unternehmens-Steuerschlupfloch der Welt. Das zeigt die neue Rangliste der Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network. Gleichzeitig hat die Schweiz eine der ungleichsten Vermögensverteilungen der Welt. Wie das «1 x 1 der Wirtschaft» in dieser Ausgabe zeigt (Seite 16). Das reichste Prozent der Bevölkerung besitzt nämlich über 42 Prozent aller Vermögen. Und jetzt öffnet die Coronakrise diese Schere noch mehr. Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit lassen grüssen! Das macht dann pro Monat minus 300 Franken für die ganz unten. Und plus 300–400 Franken für die ganz oben. Schätzt der Gewerkschaftsbund und schlägt Alarm: «Die Welt wird nach der Pandemie noch ungerechter und gefährlicher sein als vorher», so seine Analyse (Seite 5). Besonders für die Geringverdienenden, für die Frauen und die Jungen. Das geht gar nicht!
NEHMEN UND GEBEN. Das geht gar nicht, finden auch die österreichischen Gewerkschaften. Sie fordern nun eine Millionärssteuer: «Wer hat, soll geben!» (Seite 5). Und nicht nur sie: Der Ruf nach mehr Vermögenssteuer wird auch international wieder laut. Nicht nur für die Konzerne, auch für die Krösusse. Selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) stimmt nun in diesen Ruf ein. Es ist ein richtiger Ruf! Und er erschallt grad rechtzeitig zum 1. Mai. Zum Tag der Arbeit. Also bitte: Völker, hört die Signale!