Übernahme eines McDonald’s:
Im Namen des Volkes

Die Beweise gegen mich sind eindeutig: Mein Name steht auf Anteilschein Nr. 434 der Immobilienfirma «La Part du ­Peuple». Übersetzt: Das Stück Kuchen, das dem Volk zusteht. Eine verrückte Geschichte.

Oliver Fahrni, Frankreich-Korrespondent work

Alles begann mit einem McDonald’s im armen 14. Marseiller Bezirk: 75 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, viele Alleinerziehende, fürchterliche Wohn­ver­hältnisse. Wer reden, feiern oder flirten wollte, ging zum «McDo» auf die Terrasse, zwischen Wohnblocks und Schnellstrasse. Fünfzig Frauen und Männer arbeiteten dort, eine kämpferische Belegschaft um den Gewerkschafter Kamel Guémari. Doch Ende 2019 machte der Betreiber den Laden dicht.

Dann kamen Covid und Lockdown. Die kleinen Einkommen aus Minijobs und der informellen Ökonomie (Reparaturen, Läden, Putzen, Drogenhandel usw.) brachen weg. Die Schulkantinen, wo viele Kinder ihre einzige warme Mahlzeit assen, blieben zu. In Marseille brach Hunger aus. Hilfs­organisationen wie der «Secours populaire» waren rasch am Anschlag.

BEWEIS: work-Autor Oliver Fahrni gehört jetzt ein Anteil eines Volks-McDonald’s. (Foto: ZVG)

«Unerträglich», befand Gewerkschafter Guémari. Seine Bitte an McDonald’s, den Laden für die Lebensmittelverteilung nutzen zu dürfen, beantwortete der US-Konzern nie. Also beschlossen Guémari und einige Mitstreitende, den «McDo» kurzerhand zu requirieren. Im Namen des Volkes.

So wurde ein Fastfood zur Drehscheibe im Kampf gegen den Hunger. In den Kühlräumen lagern nun Gemüse, Eier und Früchte. Eine Brigade kocht in riesigen Töpfen. Über den Drive-in-Schalter werden Lebensmittelpakete ausgegeben. 150 Freiwillige aus dem Quartier und aus linken Gruppen verteilen Pakete und warmes Essen in der ganzen Stadt. Und hielten so 100’000 Menschen über Wasser. Enorm.

Doch das Problem ist: Wir leben im Kapitalismus, und der Laden gehört immer noch McDonald’s. Also wurde am 15. Mai mit einer rauschenden Fête unter Respekt der Covid-Regeln ein solidarischer Fast-food lanciert. Ein Projekt für neue Jobs, Ausbildung und Selbstversorgung. Auf dem Dach prangt nun die Leuchtschrift «L’Après M», «nach M». Die stellvertretende Bürgermeisterin Aïcha Sif war auch da. Sie versucht gerade, möglichst viele Menschen zu finden, die einen Anteil von «La Part du Peuple» zeichnen: «Dieser Ort der Selbsthilfe darf nicht ans Kapital zurückfallen.» Machen 50’000 Leute mit, kann der Laden McDonald’s abgekauft werden. Mit 25 Euro ist man dabei.

rebrand.ly/la-part-du-peuple

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