Daniel Lampart ist Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB).
Das Leben ist ungerecht, könnte man aufgrund der Statistiken zur Lebenserwartung sagen. Wer eine bessere Ausbildung oder einen höheren Lohn hat, lebt eindeutig länger. Daran hat sich leider auch in den letzten Jahren nichts geändert. Die Lebenserwartung hat zwar insgesamt zugenommen. Doch die Unterschiede zwischen den Einkommens- und Bildungsklassen sind nach wie vor ziemlich gross.
(Quelle: Remund et al. (2019): Longer and healthier lives for all? Successes and failures of a universal consumer-driven healthcare system, Switzerland, 1990–2014.)
Noch grösser sind die Unterschiede, wenn man die Gesundheit berücksichtigt. Das zeigt eine neue Studie von Schweizer Forscherinnen und Forschern. Sie haben die Frage beantwortet, wie lange eine Person ab 30 Jahren noch gesund leben kann. Sie sagen dem die «gesunde Lebenserwartung».
DÜSTERE AUSSICHTEN. Dabei zeigt es sich, dass die Lage bei den Frauen und Männern ohne Berufsabschluss besonders düster ausschaut. Die «gesunde Lebenserwartung» eines 30jährigen ohne Lehre oder Studium beispielsweise stagniert seit vielen Jahren. Im Unterschied zu den Frauen und Männern mit einer Lehre oder einem Hochschulabschluss. Diese können sich auf mehr «gesunde Jahre» freuen, als das früher der Fall gewesen ist.
Die Sozialpolitik muss hier gegensteuern. Insbesondere bei den Krankenkassen. Denn ein Grund für den schlechteren Gesundheitszustand der tieferen Einkommen ist die ungerechte Finanzierung des Schweizer Gesundheitssystems. Wegen der Selbstbehalte gehen viele nicht oder zu spät zum Arzt. Und sie verzichten auf Vorsorgeuntersuchungen. Kurzfristig braucht es höhere Prämienverbilligungen. Längerfristig führt kein Weg an einkommensabhängigen Prämien vorbei.
UNGESUNDE TEMPORÄRARBEIT. Auch die Beschäftigungssituation ist wichtig. Wer einen sicheren Arbeitsplatz mit einem guten Lohn hat und im Betrieb integriert ist, lebt gesünder. Heute sieht man beispielsweise, dass frühere Saisonniers im Alter mehr gesundheitliche Probleme haben.
Erschreckend ist, dass die Unterschiede bei der «gesunden Lebenserwartung» in den letzten 20 Jahren zugenommen haben. Angesichts der laufend steigenden Krankenkassenprämien und der Zunahme von unsicheren Arbeitsformen wie der Temporärarbeit ist das leider nicht erstaunlich. Umso grösser ist der Handlungsbedarf.