Baustellen sind Hochrisikozonen. Nun hat der Bundesrat eine neue Bauarbeiten-Verordnung verabschiedet. work zeigt, was sicherer wird und was gefährlich bleibt.
HOCH HINAUS: Wer Seilwinden, Konsolen und Werbetafeln an seinem Gerüst will, muss neu die Gerüstbaufirma mit der Montage beauftragen. (Foto: Keystone)
Wer auf dem Bau büezt, lebt gefährlich. Laut Suva verunfallen im gesamten Baugewerbe Jahr für Jahr rund 55’000 Personen. Das macht auf 1000 Werktätige 160 Verunfallte – fast drei Mal mehr als im Schnitt aller Wirtschaftsbranchen. Arbeitende auf Baustellen tragen aber nicht nur das höchste Berufsunfallrisiko. Ihr Arbeitsplatz ist auch tödlicher als alle anderen. Jährlich sterben 24 Bauleute nach einem Unfall, 46 an einer Berufskrankheit.
Die gute Nachricht: Über lange Sicht haben die tragischen Schicksale massiv abgenommen. Dies auch dank rechtlichen Vorschriften, wie sie in der Bauarbeiten-Verordnung (BauAV) festgehalten sind. Das 30seitige Regelwerk definiert, nach welchen Sicherheitsvorschriften gearbeitet werden muss. Letztmals aktualisiert wurde die Verordnung 2011. Nun haben Bund, Kantone, Suva sowie die Sozialpartner die BauAV totalrevidiert. Damit gelten ab 1. Januar 2022 wichtige Neuerungen (Übersicht: rebrand.ly/BauAV).
Auf Bockleitern dürfen die obersten zwei Sprossen nicht mehr bestiegen werden.
ÜBERTRIEBEN? NEIN
Für die Praxis besonders relevant ist die Vereinheitlichung der Höhe, ab welcher Sicherheitsmassnahmen zwingend sind. Sobald die Fallhöhe über 2 Meter beträgt, braucht es neu immer eine Sturzsicherung – auch auf Dächern, wo bisher eine 3-Meter-Grenze galt. Auf Bockleitern wiederum dürfen die obersten zwei Sprossen nicht mehr bestiegen werden. Überhaupt darf man Leitern nur noch verwenden, wenn es keine sicherere Alternative gibt. Übertrieben? Nein, zeigt die Statistik: Die Hälfte aller tödlichen Absturzunfälle ereignen sich bereits bei Höhen zwischen 1 und 5 Metern!
Neues gilt auch für das Arbeiten auf dem Gerüst. Sämtliche Veränderungen an diesem müssen künftig mit dem Gerüstbauer erfolgen – also auch die Montage von Seilwinden, Konsolen und sogar Werbetafeln. Kleine Anpassungen dürfen – etwa von einer Malerin – selbst durchgeführt werden. Allerdings nur, wenn der Gerüstersteller sein schriftliches Okay gibt. Mühsam? Einstürzende Gerüste sind mühsamer. Übrigens: Holzgerüste werden ganz verboten.
LIFTE FÜR ALLE
Neue Vorschriften gibt’s aber nicht nur für Büezerinnen und Büezer. In erster Linie nimmt die BauAV die Arbeitgeber in die Pflicht. So müssen diese neu vor Beginn jeglicher Bauarbeiten ein schriftliches Sicherheits- und Gesundheitsschutzkonzept erstellen. Ausserdem haben Chefinnen und Chefs eine Reihe neuer Pflichten in Bezug auf Asbest. Etwa dann, wenn die krebserregende Baufaser unerwartet auftritt. Dann müssen sie – wie bisher – ein Schadstoffgutachten erstellen lassen. Neu ist, dass über das Ergebnis auch die Mitarbeitenden informiert werden müssen. Eine Selbstverständlichkeit, würde man meinen. Doch durchgesetzt hat diesen Punkt die Unia.
Auch manche andere Verbesserung konnte die Gewerkschaft einbringen. Etwa in Bezug auf die «baustellenspezifischen Massnahmen» zum Schutz von Arbeitnehmenden verschiedener Berufe. Diese Massnahmen müssen im Werkvertrag geregelt sein – und neu gehören dazu auch Baugüterlifte und sanitäre Anlagen. Christine Michel, Unia-Expertin für Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit, erklärt: «Uns war wichtig, dass die Baustelleninfrastruktur besser koordiniert wird, damit alle Berufe davon profitieren.» Denn es komme immer wieder vor, dass Lifte demontiert würden, sobald die Maurer sie nicht mehr brauchten. So bleibe Stromerinnen oder Plattenlegern nur noch das Schleppen der Last. Damit soll jetzt Schluss sein.
BAUMEISTER BOCKEN
Nicht durchsetzen konnte sich die Gewerkschaft in Bezug auf das zunehmende Problem der Hitzetage. Die Unia forderte, was im Tessin bereits gilt: Einstellung der Bauarbeiten ab 13 Uhr, wenn die Behörden die Hitzewarnung Stufe drei («erhebliche Gefahr») ausgeben. Dagegen liefen die Arbeitgeberverbände Sturm. Immerhin erwähnt die BauAV jetzt «Hitze» und «Sonne» explizit und schreibt Schutzmassnahmen vor. Für Unia-Frau Michel ein erster Erfolg. Denn selbst das ging den Arbeitgebern zu weit.