Stur wie eine Eselin
Die Wahrheit ist ja bekanntlich ein stark umworbenes, kostbares Gut. Und sieht je nach Blickwinkel sehr unterschiedlich aus.
Pepper ist tot. Aus, fertig, vorbei: Der japanische Technikinvestor Softbank hat dem humanoiden Roboter mit den grossen, hohlen Augen den Stecker gezogen. Der Grund: fehlende Nachfrage. Dabei hatte das fremdgesteuerte Kerlchen mit dem grossen Display auf der Brust bei seiner Vorführung im Zürcher Glattzentrum doch noch purlimunter gewirkt. Das war im Sommer 2017. Hatte mit seinen Ärmlein gewackelt, Give-me-five gemacht, blau mit den Ohren geblinkt und verkündet: «Erfolg kommt von neuen Ideen. Und ich bin eine davon!»
Adil wollte kein Roboter sein.
BUBENTRAUM. Pepper sollte der erste in Gross-Serie produzierte Partner- und Kommunikationsroboter werden, der die Menschen begeistert. Dank künstlicher Intelligenz. Pepper würde sogar eigene Gefühle entwickeln, versprach Softbank-Chef Masayoshi Son bei seiner Lancierung. Ein japanischer Bubentraum für nur 20’000 Franken!
Leider nicht ganz, denn jedes Kunststückchen muss man dem Roboter vorher haargenau eingeben. Mit freier Kommunikation hat das nichts zu tun. Und so ereilte ihn halt das gleiche traurige Schicksal wie alle seine Artgenossen, die geschickt wurden, direkt unter Menschen zu leben: Seine Besitzerinnen und Besitzer schafften es nicht, ihm Leben einzuhauchen. Und so sprach Pepper immer mehr einsam ins Leere. Und irgendwann stand er nur noch ausgeschaltet und mit hängendem Kopf in der Ecke irgendeiner Bank, irgendeines Hotels, eines Shoppingcenters herum. Derweil die Menschen weiter robotern müssen.
GNADENLOS. «Eine Katastrophe» sei der Job im DPD-Depot in Möhlin AG ge-
wesen, sagt Nabil Bouhdoud. Alle Pakete hätten sie von Hand tragen müssen, erzählt der Logistiker work. Ohne Gabelstapler und ohne Rollwagen, obwohl die Pakete manchmal 40 bis 50 Kilo schwer seien. Immer rein in den Lastwagen und raus aus den Lastwagen und rein und raus und wieder rein: bis zu 12 Stunden am Tag (Seite 12). Wie Roboter. DPD weist zwar alles zurück. Doch auch die Lageristen, Chauffeure und Paketabfertiger in Italien haben die Nase voll von den unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Darum streikten sie am 18. Juni. Zum Beispiel im piemontesischen Dorf Biandrate. Und dort passierte es dann auch: Vor dem Lidl-Warenlager machten an die 40 Arbeiter eine Menschenkette, um allfällige Streikbrecher zu blockieren. Doch ein Lastwagenfahrer durchbrach mit seinem 40-Tönner die Kette. Erfasste einen Gewerkschafter und schleifte ihn zehn Meter über den Asphalt. Es war Adil. Er starb an Ort und Stelle – in den Armen seiner Kollegen (Seite 13). Adil musste sterben, weil er sich wehrte. Weil er kein Roboter sein wollte. Sondern ein Mensch.
Liebe Leserinnen und Leser, work macht jetzt Pause. Wir sind online und auf den sozialen Medien auch im Sommer präsent. Das nächste work kommt am 20. August. Wir wünschen Ihnen schöne und erholsame Ferien! Die Redaktion